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Kategorie: Kultur - russland.NEWS - russland.TV

Lawrow fordert mehr Engagement von UNESCO in Palmyra und Aleppo

Die Restaurierung von Denkmälern, die von Terroristen in den syrischen Städten Palmyra und Aleppo rücksichtslos zerstört wurden, ist wegen des Drucks auf die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) ins Stocken geraten, teilte Außenminister Lawrow am Mittwoch mit.

„Wegen der schweren Schäden, die Terroristen dem reichsten kulturellen und historischen Erbe des Nahen Ostens zugefügt haben, versuchen wir, die Arbeit der UNESCO zu reaktivieren, um die Denkmäler in Palmyra und Aleppo wiederherzustellen. Leider wurden die anfänglich positiven Signale jetzt gebremst aufgrund des anhaltenden Drucks auf das UNESCO-Sekretariat, was nur die schwerwiegende Tatsache zeigt, dass politische Gründe immer noch den gesunden Menschenverstand übertrumpfen“, so Lawrow.

Die antike Stadt Palmyra war ein wichtiger Knotenpunkt alter Handelswege, insbesondere der Großen Seidenstraße in Westasien. Ihre Blütezeit war im ersten bis dritten Jh. n Chr. Aus dieser Zeit sind viele Baudenkmäler bis heute in der Wüste erhalten geblieben.

Der Tempelkomplex von Palmyra gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO.

[hmw/russland.NEWS]




Russen lesen viel und immer mehr Bücher aus dem Internet

Der Anteil der Russen, die es vorziehen, Bücher aus dem Internet herunterzuladen und online zu lesen, hat sich seit 2009 versechsfacht. Dies zeigen die Ergebnisse einer Umfrage des Allrussischen Zentrums für das Studium der öffentlichen Meinung (WZIOM), die am Mittwoch auf der Website der Organisation veröffentlicht wurde.

„Das Internet“ hat die „Buchhandlungen“ eingeholt und überholt. „Ein Drittel der Russen liest heute (oder lädt) Bücher über das globale Netzwerk herunter“, heißt es in dem Bericht.

Etwa ein Drittel der Russen (35% im Jahr 2017, 27% im Jahr 2009) nehmen die Bücher aus ihrer Heimbibliothek, jeder vierte (24% im Jahr 2017) kauft Literatur in den Geschäften. Die Zahl derer, die Bücher von Bekannten und Freunden nehmen, ist zurückgegangen – von 37% im Jahr 2009 auf 24% im Jahr 2017, während Soziologen einen leichten Anstieg der Beliebtheit von Stadtbibliotheken feststellen – jetzt gehen 13% gegenüber 8% im Jahr 2014 dorthin. Die jugendliche Altersgruppe (18-24 Jahre) las am meisten – durchschnittlich 6,65 Bücher in drei Monaten, Vertreter der älteren Generation (ab 60 Jahren) lasen durchschnittlich 5,85 Bücher in drei Monaten.

Die Zahl der Buchliebhaber unter den Russen ist ebenfalls gestiegen – von 48% im Jahr 2014 auf 60% im Jahr 2017. Literarische Werke werden am meisten von Dorfbewohner (6,78/Quartal) und Bewohnern von Städten mit einer Million (6,76) gelesen. Moskau und St. Petersburg fielen dagegen deutlich ab – (5,5), hieß es in der Umfrage.

„Russen haben ein verstärktes Bedürfnis, Bücher zu lesen, und das kann verschiedene Gründe haben.“ Vielleicht können Medien und das Kino dem wachsenden Interesse an der russischen Geschichte, die in diesem Jahr durch die Oktoberrevolution sehr eindringlich wurde, nicht mehr nachkommen, oder die Russen übten ernsthaft Selbsterziehung. Oder die Bürger wenden sich Büchern zu und entfernen sich allmählich vom Fernsehen, in dem es in letzter Zeit immer mehr Negatives und Gewalt gibt „, kommentierte der Analyst von WZIOM.

 

[hmw/russland.NEWS]




Das surreale Konglomerat St. Petersburg

[von Michael Barth] Der Newsky Prospekt sei ein einziger Lug und Trug, befand einst der literarische Surrealist Nikolai Gogol in seinen Petersburger Novellen. Was er 1835 mit der Schilderung eines Straßenzuges in der Kulturmetropole an der Newa schonungslos offenlegte, gilt bis heute stellvertretend für eine ganze Stadt. Es ist nicht der Glanz der prächtigen Fassaden, der den wahren Charakter St. Petersburgs ausmacht, es ist vielmehr der ungeschminkte Blick dahinter.

Dem geläufigen Besucher mag während seiner Kurzvisite der Zarenstadt ein bleibender Eindruck von Pracht und Schönheit aus schmucken Zeiten haften bleiben. Wer jedoch für längere Zeit in der Fünfmillionen-Stadt am Finnischen Meerbusen weilt, wird schnell des aufgesetzten, heuchlerischen Prunks überdrüssig sein. An diesem Punkt beginnt St. Petersburg sein wahres Gesicht zu offenbaren – der Kontrast von Licht und Schatten, von vermeintlichem Wohlstand kaiserlicher Tage und den ständigen, bis heute währenden, Überlebensstrategien seiner Bewohner. Auf den ersten Blick kann das moderne St. Petersburg den europäischen Kultur-Metropolen Berlin oder Paris mit seinen Bars, Cafés und seiner Szene durchaus das Wasser reichen. Beim zweiten Hinsehen allerdings erkennt man, dass es sich um eine russische Großstadt handelt, die ihre eigenen Gesetze schreibt.

Noch immer ist das Denken und Handeln der Russen geprägt von einstiger Leibeigenschaft des alten Zarenreiches und der Reduzierung des Menschen auf einen wirtschaftlichen Faktor später während der Sowjetzeit. In den Nuller-Jahren gesellte sich der stilprägende Ausbruch aus den Normen und gesellschaftlichen Zwängen hinzu, so dass sie mittlerweile von sich behaupten können, zu den eigenartigsten Hipstern dieser Welt zu zählen. St. Petersburg ist ein einzigartiges, surreales Konglomerat aus Vergangenheit und Gegenwart, dessen Zukunft sich täglich neu erfindet. Um bei all den Umtrieben den Kopf nicht zu verlieren, so scheint es, haben die Petersburger ihre ihnen eigene Arroganz entwickelt. Der Schwermut der viel bemühten russischen Seele, gepaart mit der Dynamik der Moderne, illustriert das besondere Flair, das hier an der Newa herrscht.

Von der Kunst zu leben

St. Petersburg ist eine Stadt, die gespickt ist mit Kontrasten. Eine Stadt der Möchtegerns und Habenichtse, der Aufsteiger und derjenigen, die bereits von vorn herein verloren haben. Eine Stadt der prächtigen Fassaden und der tristen Hinterhöfe, in denen die Bewohner fernab aller Touristenströme ihren Alltag bewältigen. Diesen Kontrasten hat sich der Fotograf Daniel Biskup in seinem neuesten Bildband St. Petersburg – Kontraste, erschienen im Verlag Salz und Silber, angenommen. Biskup besucht Museen und schlägt sich gleichermaßen in den angesagten Clubs die Nächte um die Ohren, nicht ohne auf der Fahrt mit der Metro den, gedankenverloren in sich gekehrten, Passagier abzulichten.

Biskup als Fotograf ist in seinem Metier ein Kaliber für sich – bei ihm ist der Beruf Berufung. Er hat den Blick für das Wesentliche, das sich nur allzu gern hinter dem Vordergründigen versteckt. Das, was man nicht sucht, aber intuitiv findet, wenn man nur aufmerksam genug durchs Leben streift. Und jedes mal, wenn Daniel Biskup in seiner Dunkelkammer verschwindet, darf man gespannt sein, mit welchem weiteren Meisterwerk er wieder herauskommt. In dem vorliegenden Bildband werden seine Arbeiten dem Titel mehr als gerecht. High-Heels im Schnee, Paradeuniformen bei Hitze – das sind die kleinen und doch so faszinierenden Nebensächlichkeiten, auf die der Künstler sein Augenmerk richtet.

Während auf dem edlen Newsky Prospekt die Menschen flanieren, findet er sie zehn Meter darunter, durch die Metro-Etage hetzend, wieder. Es ist vorwiegend der Mensch, den er in seinem natürlichen Habitat findet. Der Fleischverkäuferin hinter der Theke ist dabei genauso viel Platz gewidmet, wie dem aufgedonnerten Modell, das sich im Glanz der Straßenlaternen räkelt. Ihren Lebensraum findet Biskup hinter schäbigen, heruntergekommenen Fassaden, die im Widerspruch zu der Touristenstadt mit all ihrem pompösen Gehabe stehen. Der Fotograf nimmt den Betrachter mit in die Kommunalka-Küche und in Wohnungen mit schickem Designerinterieur. Dokumentiert in Bildern, auf denen die Gebrauchsgegenstände wirken, als hätte sie derjenige, der sie zuletzt benutzt hat, eben erst abgestellt.

Somit richtet sich der Bildband St. Petersburg – Kontraste weniger an diejenigen, die an Hochglanzfotos als Reiseerinnerungen interessiert sind, sondern vielmehr an die, die ein tieferes Bild einer Stadt sehen wollen, die auf ihre Art einzigartig ist.

Über den Autor: Daniel Biskup, Jahrgang 1962, entdeckte bereits in seinen frühen Lebensjahren das Metier Photographie für sich. Da ihn die Schule wenig beeindruckte, widmete er sich lieber den Menschen, der Gesellschaft und dem Schönen. Mit 18 Jahren holte er sein Abitur nach und studierte Geschichte, Politik und Volkskunde. 1982 erschien sein erstes veröffentlichtes Foto auf der Titelseite der Allgemeinen Augsburger Zeitung. 1989 gelang Daniel Biskup der Durchbruch als Fotograf, als er das damalige Zeitgeschehen in Berlin dokumentierte. Rund 25 Jahre später reiste er mit seiner Kamera während des Maidans in die Ukraine.

Als Lichtbildner konzentriert er sich auf Menschen in Momenten, die für sie existenziell sind, ohne ihnen zu nahe zu treten. Auf seinen Werken dokumentiert das Schöne, das Menschliche, das Normale. Ganz ohne Hilfsmittel wie Studiolicht oder Bildbearbeitungsprogramm. 2011 wird Biskup einer größeren Öffentlichkeit bekannt. 280 Bilder Über das Leben zeigen auf einer Ausstellung in Berlin den Umbruch in den ehemaligen Ostblockstaaten. Heute befinden sich seine Fotos sowohl in privaten Sammlungen als auch beispielsweise im Russischen Museum in St. Petersburg, im Deutschen Historischen Museum in Berlin oder im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.

Daniel Biskup: St. Petersburg – Kontraste, Verlag Salz und Silber 2017, 264 Seiten, 280 Abbildungen, ISBN: 978-3-00-057266-1




Russischer Folk auf der Metro-Rolltreppe [Video aus YouTube]

Die russische Folkloregruppe Beloje Slato hatte bereits einen viralen Hit auf YouTube, als sie in einem Schlafwagenabteil russischen Folk zum besten gab.

Vielleicht wird auch das heutige, neue Video der jungen Frauen wieder ein Erfolg. Unüblich genug wäre der Schauplatz des neusten Auftritts auf jeden Fall: Denn gesungen wird auf einer Metro-Rolltreppe und gefilmt wohl mit einem Smartfon. Die talentierten Sängerinnen kommen übrigens aus der recht unwirtlichen Polar-Großstadt Norilsk, sonst eher bekannt durch die die Produktion von Aluminium und Kupfer. Auch der Name heißt übersetzt „Weißes Gold“ und entstanden ist das weibliche Acapella-Ensemble an einem dortigen College. Die jungen Frauen tragen ihr Repertoire in ihren YouTube-Videos am liebsten in unübliche öffentliche Orte wie Parks oder öffentliche Verkehrsmittel. Hier dauert es etwa 15 Sekunden, bis es los geht.

Foto: Bildzitat Screenshot Video (c) Beloje Slato




Putin eröffnet Gedenkstätte »Mauer der Trauer«

Im Anschluss an ein Treffen des Rates für Zivilgesellschaft und Menschenrechte eröffneten Präsident Putin und die Ratsmitglieder die Gedenkstätte »Mauer der Trauer«, die an die Opfer der politischen Repression erinnern soll.

An der Zeremonie nahmen auch Patriarch Kirill von Moskau und ganz Russland und der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin teil. Nach kurzen Ansprachen betraten sie das Denkmal und legten Blumen nieder.

Hunderte Menschen waren ebenfalls zum Denkmal gekommen: religiöse Gläubige, Regierungsbeamte und Menschenrechtsaktivisten sowie viele ältere Menschen, die ihre Kinder und Enkelkinder mitbrachten. Fast jeder trug Blumen, die sie nach dem Präsidenten an das Denkmal legten.

Diese furchterregende Vergangenheit könne nicht aus dem nationalen Gedächtnis getilgt werden, und noch viel weniger mit dem Hinweis darauf gerechtfertigt werden, dass die Verursacher eigentlich nur das Beste für das Volk gewollt hätten, erklärte Putin.

Das Denkmal »Mauer der Trauer« (Стена скорби) in Moskau erinnert an die Opfer des Sowjetsystems. Es besteht aus monumentalen Bronzefiguren, steht an der Kreuzung des Sacharow-Prospekts mit dem Gartenring und wurde vom russischen Bildhauer Georgi Franguljan (Jahrgang 1945) gestaltet.

Der 30. Oktober ist seit 1991 in Russland Gedenktag für die Opfer politischer Gewalt, insbesondere für die Opfer des stalinistischen Terrors und des GULags. Es gab zwar bereits zuvor eine Reihe von Denkmälern in verschiedenen Städten Russlands. Das jetzige wurde vom russischen Staatspräsidenten in Auftrag gegeben und ist erster offizieller Erinnerungsort mit übernationaler Bedeutung, es steht für das gesamte Gebiet der früheren UdSSR.

Die »Mauer der Trauer« ist dreißig Meter lang und rund sechs Meter hoch und hat Lücken, damit die Besucher hineingehen und ganz klein zwischen den riesigen, in drei Reihen übereinander angeordneten, kopflosen Gestalten das Gewicht der Geschichte empfinden.

„Die Skulptur stellt etwa 500 Figuren dar – es sind keine konkreten, tatsächlichen Figuren, sondern abstrakte, symbolische. Sie schaffen gerade dieses Gefühl. Das heißt, die Plastik wirkt wie eine Art Korrosion. Darin liegt all die Tragik dessen, was viele viele Jahre lang geschehen ist.“ [Georgi Franguljan]

Das Kunstwerk steht unter dem Motto „Niemals wieder“.

[hmw/russland.NEWS]




Ein Zar, seine Stadt und reichlich Liebelei

[von Michael Barth] Zar Peter der Große setzte im Jahre 1703 den ersten Spatenstich, um eine Stadt zu bauen – seine Stadt. Heute ist sie unter dem Namen St. Petersburg bekannt, lockt jährlich gut fünf Millionen Touristen an und zählt inzwischen zu den zehn sehenswertesten Städten der Welt. Unter welchen widrigen Bedingungen der Zar dem Sumpf jedoch sein Stück Land abgerungen hat, das wissen nur die wenigsten.

Es ist schon etwas Besonderes, eine Stadt in einer Landschaft zu planen, die unwirtlicher nicht sein könnte. Einer Landschaft der jeder feste Boden in mühevoller Arbeit abgetrotzt werden will, die von sich aus keinerlei Lebensgrundlage bietet. Peters Visionen von seiner Stadt, sie sollten sich erfüllen. Menschen bewegen sich dort heute wie selbstverständlich auf befestigten Wegen, leben in prächtigen Häusern, gehen in prunkvolle Kirchen, fahren mit Autos auf den Straßen. Das glänzende St. Petersburg ist zweifellos eine Perle der Architektur.

Bauherren haben im Lauf der Zeit etwas Prächtiges, etwas Einzigartiges entstehen lassen. Mit welchen Mühen, unter welchen Qualen diese Stadt entstanden ist, davon handelt der große St. Petersburg-Roman von Martina Sahler Die Stadt des Zaren, erschienen im List-Verlag. Die Autorin erzählt darin vom Aufbruch in ein Abenteuer, zu dem Menschen aus allen Himmelsrichtungen anreisen, um das monumentale Vorhaben des Zaren Wirklichkeit werden zu lassen – Russlands Fenster zum Westen. Sie verwebt die Geschichte um die Gründung der Stadt mit fiktiven Handlungssträngen ihrer Protagonisten, die teils historisch belegt sowie frei erfunden sind.

Im Mittelpunkt der Erzählung steht, neben Peter dem Großen natürlich und dessen Adlatus Fürst Alexander Menschikow, die deutsche Arztfamilie Albrecht, die dem Ruf des Zaren gefolgt ist, um ihr Schaffen in den Dienst des werdenden St. Petersburgs zu stellen. Dass sich schon bald die älteste Tochter in einen rechtschaffenen schwedischen Kriegsgefangenen verliebt, ist die logische Konsequenz, die sich wie ein roter Faden durch die Erzählung zieht. Die weiteren Personen und deren Erlebnisse veranschaulichen das Vielvölkerkonglomerat, das die Baustelle St. Petersburg zum Leben erweckt.

Es wäre fahrlässig, den Roman mit den Augen der historischen Akribie eines Simon Sebag Montefiores (Die Romanows und Katharina die Große und Fürst Potemkin) betrachten zu wollen. Auch wenn Martina Sahler auf historische Unterlagen zurückgreifen konnte, erreicht deren Auswertung bei weitem nicht die tiefe Gründlichkeit eines Historikers. Dafür steht die fiktionale Handlung des Romans zu sehr im Vordergrund, was die Geschichte jedoch nicht weniger interessant und attraktiv gestaltet. Die Stadt des Zaren ist ein Buch, das in erster Linie unterhalten soll.

Diejenigen unter den Lesern, die St. Petersburg kennen oder zumindest schon einmal besucht haben, werden sich wiederfinden in den glamourösen Palästen und Kathedralen, die, wenngleich seinerzeit noch aus Holz errichtet, das künftige Stadtbild bereits prägen sollten. Vielleicht wird der eine oder andere bei einer Fahrt mit der Metro im Untergrund der heutigen Metropole an die Menschen denken, deren Schicksal eng mit der Stadt verbunden ist. An die Knochen der Leibeigenen und Kriegsgefangenen, denen diese ehrgeizige Baustelle das Leben kosten sollte.

Und selbst der unbedarfte Leser wird schnell erkennen, dass St. Petersburg weit mehr als nur eine Stadt von vielen ist – dass St. Petersburg etwas Besonderes ist.

Martina Sahler: Die Stadt des Zaren, List-Verlag 2017, 520 Seiten, ISBN: 978-3-471-35154-3




„Die Macht der Musik“ – eine Ausstellung über das Alexandrow-Ensemble

Im Dezember jährt sich die Flugzeugkatastrophe, bei der 2016 unweit von Sotschi beinahe sämtliche Mitglieder des legendären Alexandrow-Ensembles ums Leben kamen. Das Ensemble – Aushängeschild der russischen Armee und musikalischer Botschafter Russlands – wird im kommenden Jahr 90 Jahre alt. Gleichzeitig jährt sich zum 70. Mal sein denkwürdiger Auftritt auf dem Berliner Gendarmenmarkt. Aus diesem dreifachen Anlass entsteht nun in Berlin eine Ausstellung.

Das Berliner Konzert von 1948 vor mehr als 30.000 Zuschauerinnen und Zuschauern wird noch heute von vielen als erste Freundschaftsgeste der sowjetischen Besatzungsmacht gegenüber den Deutschen interpretiert: „Am 18. August 1948 singen Sieger für Besiegte. Die Befreier sind nun Besatzer. Berlin ist längst eine geteilte Stadt. Vier Sektoren markieren das politische Weltgeschehen. Das Konzert vor dem ausgebrannten Schauspielhaus dirigiert Boris Alexandrow, Sohn und Nachfolger des Ensemble-Gründers. Als Wiktor Nikitin »Kalinka« singt, sind alle aus dem Häuschen. Als er auf deutsch »Im schönsten Wiesengrunde« anstimmt, verstehen die Berliner die großherzige Geste – Sieger und Besiegte müssen nicht auf ewig Feinde sein.“ So beschreibt Sebastian Köpcke die Situation auf der Webseite des Ausstellungsprojekts (www.alexandrow-expo.de).

Jahreszahlen und Jubiläen sind sind das eine, das andere ist ein Bedürfnis nach Verständigung zwischen Ost und West, welche zur Organisation dieser Gedenkausstellung geführt haben. Die beiden Berliner Sebastian Köpcke und Claudia Opitz haben das Ensemble als Kinder miterlebt. Sebastian Köpcke gestaltet seit 30 Jahren Ausstellungen, und die Autorin Claudia Opitz reiste früher als selbst als Tänzerin zu Gastspielen in die Sowjetunion.

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Schein-Heilige – Warum geschasste russische Künstler im Westen immer Helden sind

Am aktuellen Beispiel des russischen Aktivisten Pjotr Pawlenski wird wieder einmal deutlich, dass die Wahrnehmung oppositioneller Kunst in Ost und West unterschiedlicher nicht ausfallen könnte. David gegen Goliath – der Künstler gegen den Staat. Moritz Gathmann versucht zu ergründen, warum eine in Russland begangene Straftat dem Westen heilig ist.

Pjotr Pawlenski, der sich selbst als „Aktionskünstler“ bezeichnet, hat es dem Staat einmal wieder so richtig gezeigt. Aus Empörung gegen die Unterdrückung der Freiheit fackelte er vor kurzem das Foyer einer französischen Bank ab. Auf dem steinigen Weg zu seinem künstlerischen Ruhm standen bereits mehrere solcher fragwürdigen Aktionen. Aus Protest gegen die Repressionen des Kremls nagelte er sich seinen Hodensack am Roten Platz vor selbigem fest, er rollte sich in Stacheldraht ein und nähte sich den Mund zu. Als er die Eingangstür des Inland-Geheimdienstes FSB in Brand setzte, wurde es den Behörden zu bunt und Pawlenski wurde dafür verurteilt.

Hier stellt Gathmann nun die berechtigte Frage: „Aber haben Sie eigentlich schon einmal versucht, die Eingangstür des BND oder der CIA in Brand zu stecken? Lassen Sie es lieber.“ Ein Politiker des russischen Verteidigungs- und Sicherheitsausschusses riet Pawlenski, er solle sich doch an der Freiheitsstatue festnageln. Wie der Journalist findet, sei es immer dasselbe Schema, wenn die westlichen Medien, insbesondere die deutschen, solche Künstler zu Ikonen erheben: „Hier die mutigen Künstler, vom Freiheitswillen zum Protest getrieben, dort der repressive Staat, der sie dafür in den Knast steckt.“ Es scheint ihnen dabei zu genügen, wenn die, mitunter selbsternannten, Kulturschaffenden aus Russland oder mindestens aus einem der osteuropäischen Länder stammten.

Wenn das Heldenbild Risse kriegt

Als weiteres Beispiel einer von den hiesigen Medien gutgeheißenen Straftat führt Moritz Gathmann die Pseudo-Punkrock-Band „Pussy Riots“ an, von denen es die Hübscheste, so Gathmann, sogar auf das Cover vom „Spiegel“ geschafft habe. Auch sie wurden hierzulande zu Heldinnen, die gegen das Unrecht ankämpften, in dem sie in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale die öffentliche Ordnung grob verletzten, die Religionsausübung gestört hatten und den Präsidenten verunglimpften. Wäre das alles beispielsweise im Kölner, oder gar Passauer Dom geschehen, kaum jemand wäre hier auf die Idee gekommen, einen derartigen Eklat auch noch als politischen Befreiungsversuch zu huldigen.

Hierzu äußert sich Gathmann: „Wie wurden diese Frauen, die angeblich Putin das Fürchten gelehrt hatten, bei uns gefeiert! Man wollte ihnen den Sacharow-Preis verleihen, den Luther-Preis und was weiß ich noch alles. Und dann kommt Nadjeschda Tolokonnikowa nach Berlin und lässt viele ratlos zurück.“ Er erinnere sich noch gut an eine Reportage vom Auftritt der Aktivistin auf der Berlinale, sagt er. „Da waren die Journalisten und Kunstschaffenden zu ihrer Heldin gepilgert, um endlich persönlich die Erleuchtung in Empfang zu nehmen. Und was bekamen sie? Plattitüden über Freiheit und Feminismus.“ Als Grund sieht er, dass die Heroisierung in keinem Verhältnis zur „Bedeutung der Objekte“ stünde und sie nur funktioniere, wenn alles herum ausgeblendet werde.

„Es sollte uns zu denken geben, dass Femen, Pussy Riot und jetzt Pawlenski ganz anders wirken, wenn sie nicht mehr im fernen Moskau, St. Petersburg oder Kiew handeln, sondern wir sie vor Augen haben“, erinnert Gathmann an die reale Wahrnehmung und kommt auf die barbusigen Aktivistinnen der „Femen“ zu sprechen. Auch hier erinnert er sich an deren erste Aktion in Deutschland: „Da kreuzigten sie bei der Eröffnung der „Barbie-World“ unweit des Berliner Alexanderplatzes eine Barbie-Puppe und verbrannten sie demonstrativ. Es war eine typische, primitive Femen-Aktion. Doch was beklatscht wurde, solange es im barbarischen Osten stattfand, wurde nun bestenfalls ignoriert oder mit einigem Befremden beschrieben.“

Gathmann hat für all das einen schönen Vergleich parat. „Man fährt in Urlaub, in die Alpen oder an die Küste, und findet dort im Gebirgsbach oder im Meerwasser einen Stein. Er glänzt so rätselhaft, seine Farben erscheinen unwirklich. Man fischt ihn raus, nimmt ihn mit nach Hause. Und dort, auf dem Fensterbrett, in Berlin oder in Stuttgart, da sieht er plötzlich ganz anders aus. Er glänzt nicht mehr, er ist grau. Er ist… ein ganz normaler, langweiliger Stein.“ Aber er beruhigt uns, dass wir, wenn der Glanz erst weg ist, neue Helden finden werden.

[mb/russland.NEWS]




100 Jahre Oktoberrevolution: Rote Banner im Winterpalast

[von Lothar Deeg] Russland steht vor dem 100. Jahrestag der Oktoberrevolution.  Richtig feiern werden am 7. November aber nur die Kommunisten – der Kreml tut so, als sei nichts passiert. Immerhin, die Eremitage als staatliches Museum und 1917 zugleich Hauptschauplatz der bolschewistischen Machtergreifung, begeht das Jubiläum mit einer ungewöhnlichen Deko – und einer aufwändig gemachten Sonderausstellung.

„Warum sollte man das feiern?“, fragte dieser Tage Dmitri Peskow zurück, der Pressesprecher von Wladimir Putin.  Im Kreml seien jedenfalls keinerlei Veranstaltungen aus diesem Anlass geplant, so Peskow. Aufrührerische Ereignisse wie eine Rebellion gegen das angestammte Staatsoberhaupt, ein gewaltsamer Putsch durch eine radikale Minderheit und schließlich auch noch der totale Umsturz des bestehenden Staats- und Wirtschaftssystems – all das sind im Selbstverständnis der heutigen russischen Führung keine historischen Ereignisse, die es wert wären, offiziell gewürdigt zu werden – ganz im Gegenteil.

Wie schon im Frühjahr, als sich die Februarrevolution – und damit der Sturz der Jahrhunderte über Russland herrschenden Zarenmonarchie –  zum 100. Mal jährte, ignoriert das offizielle Russland die historischen Ereignisse in der damals Petrograd genannten Hauptstadt.

Comeback für Lenin-Exponate

Aber es gibt auch kein Verbot, sich mit der Revolution auseinander zu setzen. Dies geschieht mit Medienprojekten, einer ganzen Reihe von Historiker-Konferenzen und -Kongressen und schließlich mit in diesen Tagen eröffneten Ausstellungen in vielen russischen Städten – Wolgograd, Nischni Nowgorod, Lipezk, Irkutsk, Kaluga und auch zwei in Moskau. Exponate zu diesem Thema liegen schließlich massenweise in den Depots der Regionalmuseen – denn in welcher Bezirkshauptstadt gab es zu Sowjetzeiten kein Lenin- oder Revolutionsmuseum?

Spannend war die Frage, wie die Eremitage als Russlands Museumsflaggschiff und zugleich Hausherrin über den Winterpalast – und damit den symbolträchtigen Kulminationspunkt der Revolution – mit dem schwierigen Datum umgehen wird. Bekanntlich hatten die Bolschewiken am 7. November 1917 (in Russland schrieb man nach dem Julianischen Kalender erst den 25. Oktober)  die Kontrolle über fast alle Schlüsselstellen in der Stadt – Post- und Telegrafenämter, Brücken, Elektrizitätswerke – an sich gerissen.

In der Nacht darauf stürmten ihre Arbeiter- und Soldatentrupps den nur halbherzig verteidigten Winterpalast. Sie verhafteten dort die Mitglieder der Provisorischen Regierung, die seit dem Sturz des Zaren Russland regiert hatte. Regierungschef Kerenski hatte den Regierungssitz allerdings noch am Morgen ungehindert verlassen können und war nach Pskow an die Front gefahren, um militärische Unterstützung zur Abwehr des laufenden Putsches zu organisieren.

Rote Riesenbanner führen in die Eremitage

Angesichts der Strenge, die sich die Eremitage üblicherweise bei der Wahrung jedwedes historischen Details in ihrem Palastkomplex auferlegt, hat das Museum nun selbst eine Revolution durchgemacht: Die ehrwürdige Säulengalerie, über die so gut wie alle Museumsbesucher die Eremitage betreten, hängt voller roter Banner mit damaligen revolutionären Losungen – gegen Kapitalisten, Kriegstreiber, Großgrundbesitz und gar gegen „Blut-Nikolaus“, den man in einem Kerker in der Peter-Pauls-Festung sehen möchte. Das ist historisch authentisch – aber heute schon wieder mutig, denn Nikolaus II. ist ja inzwischen heilig gesprochen – und wie das Kreuzfeuer gegen den Film „Mathilda“ bewies, halten einflussreiche konservative Kreise Kritik am letzten Zaren für eine Verletzung ihrer religiöser Gefühle.

Auch die barocke Jordan-Treppe, eines der architektonischen Schmuckstücke des  Palastes, wurde mit einem riesigen Ausstellungsplakat im Stil der 20er-Jahre-Avantgarde ausgestattet, weshalb hier jetzt der Eindruck entsteht, ein hammerschwingender Proletarier falle gerade über das edle Stuck-Interieur her.

Die Sonderausstellung unter dem Motto „Winterpalast und Eremitage 1917 – Hier wurde Geschichte gemacht“ belegt dann die drei großen Parade-Festsäle auf der Newa-Seite, wobei der hinterste Saal momentan noch nicht eröffnet ist.

Der Zar geht – Lenin kommt

Mit gehörigem Aufwand hat das Museum diese  Räume umdekoriert: Riesige deckenhohe Foto-Reproduktionen tragen in sich Vitrinen, Videoschirme oder historische Exponate. Gezeigt werden Originalkleidung der Zarenfamilie und selbst die Plüschtiere der Kinder sowie Inventar des riesigen Lazaretts, das im Ersten Weltkrieg hier eingerichtet wurde. Aus dem Staatsarchiv holte man wirklich einmalige historische Dokumente heran, etwa die Abdankungserklärung von Nikolaus II. –  oder auch dessen Tagebuch mit dem letzten Eintrag vor der Ermordung der Zarenfamilie im Sommer 1918.

Prachtentfaltung und Realitätsferne der alten Herrschaft werden hier direkt konfrontiert mit der Armut der Arbeiter, der Wut und der Entschlossenheit der Revolutionäre, dieses ganze Staatsgebäude einzureißen und zu vernichten. Ein famoses Beispiel für die Zeitenwende ist ein überlebensgroßes Porträt von Nikolaus II. aus dem Jahre 1896. Es steht in einem Rahmen frei im Raum – denn auf die Rückseite der Leinwand malte 1924 ein Kunstlehrer ein ebenso großes Lenin-Porträt.

Weitere Sonderausstellungen im Haus zeigen russische Druckwerke aus der Revolutions- und Bürgerkriegsphase und beschäftigen sich mit dem berühmten Eisenstein-Film „Oktober“ – der 1927 jede Menge dramatischer und heroischer Bilder nachlieferte, die es beim realen Sturm auf den Winterpalast gar nicht gegeben hatte.

Die Uhr tickt wieder – bis zur nächsten Revolution?

Gleichzeitig beseitigte das Museum aber auch eine letzte Nachwirkung der Oktoberrevolution in seiner Exposition: Im „Kleinen Speisesaal“, wo sich seinerzeit um 2.10 Uhr die Provisorische Regierung den Bolschewisten ergab, zeigte seit 100 Jahren eine edle französische Uhr auf dem Kaminsims genau diesen Moment der  vermeintlichen Zeitenwende an. Ein Jahrhundert Stillstand sei genug, befand Eremitage-Direktor Michail Piotrowski. Vor laufenden Kameras zog er die Uhr auf. Jetzt läuft sie wieder.

[Lothar Deeg/russland.NEWS]




„Die Russische Revolution bricht mit den humanistischen Ideen des späten 18. und des 19. Jahrhunderts.“

[von Dr. Kristiane Janeke] 2017 jährt sich die russische Revolution zum 100. Mal. Das Deutsche Historische Museum zeigt vom 18. Oktober 2017 bis 15. April 2018 die Sonderausstellung „1917. REVOLUTION. RUSSLAND UND EUROPA“. Tatjana Weidemann von »russlandkontrovers« sprach mit der Kuratorin der Ausstellung Dr. Kristiane Janeke über die verschiedenen Lesarten der Russischen Revolution in Europa und ihre Rolle im internationalen politischen Diskurs.

Sehr geehrte Frau Dr. Janeke, die Russische Revolution erlebt in diesem Jahr ihren 100. Jahrestag. Was war an dieser Revolution besonders? Was macht sie für uns aktuell?

Die Russische Revolution war ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung und ein Schlüsselereignis für das 20. Jahrhundert. Sie ist die Geburtsstunde der Gegensätze zwischen liberal-demokratischen und diktatorischen Gesellschaftsentwürfen und eine Wegbereiterin der Polarisierung der Welt in zwei Lager. Dies wirkt bis heute in Russland und der umliegenden Region sowie in den Strukturen der internationalen Gemeinschaft nach. Darüber hinaus hat die Auseinandersetzung mit diesem ersten sozialistischen Staat die innere Entwicklung vieler Länder nachhaltig beeinflusst. Die Folgen und Auswirkungen der Revolution, also die Gründung der Sowjetunion, die Spaltung der Arbeiterbewegung in Europa sowie die enormen Migrationsströme sind zentral für das Verständnis des 20. Jahrhundert, darunter insbesondere auch für die deutsch-deutsche Geschichte.

Die Revolution wird von einigen als ein positives Ereignis und ein Akt der Befreiung interpretiert, von anderen dagegen als Katastrophe und Tragödie. Wie sehen Sie das?

Wichtig ist es zu verstehen, dass es DIE eine russische Revolution nicht gegeben hat, sondern es sich vielmehr um einen komplexen Prozess aus zwei Revolutionen im Jahr 1917 und einem mehrjährigen Bürgerkrieg gehandelt hat, indem verschiedenen politische, soziale und nationalen Gruppen jeweils ihre eigenen Interessen vertreten haben. Die Geschichte kann auf ganz unterschiedliche Weise erzählt werden, darunter als Sturz des Zarismus, als soziale oder nationale Revolution, als Orgie von Hunger, Gewalt und Terror oder aber auch als Kulturrevolution. Sie war in der Stadt eine andere als auf dem Dorf, im Zentrum eine andere als an der Peripherie. Dass sich letztlich die Bolschewiki mit ihren Zielen und Vorhaben durchsetzten, ist ihrem Einsatz extensiver Gewalt und der Unterdrückung ihrer Gegner zuzuschreiben.

Diese Entwicklung war zudem sehr ambivalent und war auf der einen Seite mit Hoffnungen und Träumen von einer besseren Zukunft, auf der anderen Seite mit Ängsten und Gewalterfahrungen verbunden. Diese Vielschichtigkeit der Revolution spiegelt sich in der nachhaltigen Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit sowie der Gleichzeitigkeit von Vision und Realität oder auch Emanzipation und Gewalt wider. Der Anspruch auf radikale Erneuerung von Politik und Gesellschaft und die Wirkungsmächtigkeit der damit verbundenen Ideen sind untrennbar verbunden mit der verheerenden Zerstörung wirtschaftlicher und sozialer Strukturen. Sowohl die normative Kraft der Vision als auch der Zwang der Machterhaltung dienten als Rechtfertigung für Terror, Repression und Gewalt.

Das Deutsche Historische Museum zeigt vom 18. Oktober 2017 bis 15. April 2018 die Sonderausstellung „1917. REVOLUTION. RUSSLAND UND EUROPA“. Sie haben das Konzept der Ausstellung erstellt und waren als Kuratorin an dem Projekt beteiligt. Welche Aspekte der Russischen Revolution waren Ihnen als Historikerin besonders wichtig?

Für mich war es wichtig, dem Besucher zu vermitteln, dass die russische Revolution nicht etwa ein Ereignis von regionaler Bedeutung, sondern von großer Strahlkraft für Russland, Europa und die Welt war und warum es wichtig ist, sich nach 100 Jahren noch daran zu erinnern. Das Konzept der Ausstellung geht davon aus, dass man die historische Bedeutung der Revolution nur verstehen kann, wenn man das Ereignis selbst und seine Wirkung in den Bick nimmt. Daraus ergeben sich die beiden Schwerpunkte der Ausstellung, die der Untertitel mit «Russland und Europa» aufnimmt.

Ein zweiter Grundgedanke ist, dass in allen Bereichen der Ausstellung die oben benannte Komplexität und Ambivalenz erkennbar sein muss. Dies ist wichtig, damit der Besucher versteht, was eigentlich passiert ist, welche Reaktionen das Ereignis hervorgerufen und warum die Revolution zu so kontroversen Interpretationen und politischen Standpunkte geführt hat.

Schließlich war es mir ein Anliegen, möglichst viele und aussagekräftige Exponate aus russischen Museen zu zeigen, die in Deutschland nur selten oder bisher gar nicht zu sehen waren.

Die Ausstellung des Deutschen Historischen Museums ist ein Kooperationsprojekt mit dem Schweizerischen Nationalmuseum. Gibt es nationale Besonderheiten und Unterschiede in der Herangehensweise an das Thema? Gehen die Schweizer anders damit um als die Deutschen?

Sowohl das Schweizerische Nationalmuseum als auch das Deutsche Historische Museum haben jeweils eine Ausstellung aus Anlass des 100. Jahrestages der russischen Revolution erarbeitet. Beide Ausstellungen sind verbunden durch einen gemeinsam produzierten Essayband, der ergänzend zu den beiden Ausstellungskatalogen erschienen ist, sowie die Tatsache, dass ich für beide Museen als Kuratorin tätig war und wir mit denselben russischen Partnern zusammengearbeitet haben.

Den Ausstellungen selber lag ein je eigenes Konzept zugrunde, und sie hatten bzw. haben unterschiedliche Schwerpunkte. Während die Schweizer Ausstellung die Beziehungen zwischen Russland und der Schweiz vom Ende des 18. bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhundert in den Blick genommen hat, geht es in Berlin neben der Revolution selbst um deren Folgen und Wirkungen in Europa. Unterschiede in der Herangehensweise haben sich eher aus den inhaltlichen Schwerpunkten der Ausstellungen sowie der Arbeitsweise der Museen ergeben.

Wie erlebten Sie die Kooperation mit den russischen Kollegen? Gab es hier unterschiedliche Lesarten oder Kontroversen zur Revolutionsdeutung? Hat man die Spannungen des momentan herrschenden bilateralen gesellschaftspolitischen Diskurses gespürt?

Eine solche Ausstellung kann man nicht ohne die Einbeziehung von russischen Museen und Sammlungen machen, wenn man seine Aufgabe ernst nimmt. Aus diesem Grund haben wir mit Museen in Moskau und St. Petersburg zusammengearbeitet, d.h. Exponate vor Ort in den Sammlungen recherchiert und uns mit den russischen Kollegen ausgetauscht. Weitere Materialien in Form von Repros und Filmen kommen aus anderen russischen Museen und Archiven, darunter in Jekaterinburg, sowie aus Minsk und Kiew.

Ich arbeite seit vielen Jahren für und mit Museen in Deutschland und Russland und erlebe die Zusammenarbeit als sehr konstruktiv und vertrauensvoll. Auf der Arbeitsebene spielen politische Fragen praktisch keine Rolle. Über die Revolution dagegen haben wir lebhaft diskutiert. Wirkliche Kontroversen gibt es aber auch hier nicht: Der wissenschaftliche Diskurs ist soweit internationalisiert, dass wir uns regelmäßig auf Konferenzen austauschen. Natürlich sind die Russen näher dran an dem Thema, haben ein anderes Interesse, lange vernachlässigte Fragen aufzuarbeiten, während es hier in Deutschland eher um die Erinnerung und Wirkungen geht. Anders sieht es mit der offiziellen Lesart der Revolution durch die russische Politik aus, die aber wiederum nicht Gegenstand unserer Ausstellung ist.

Seit einigen Jahren hat man den Eindruck, Geschichte werde vermehrt für aktuelle politische Diskurse instrumentalisiert. Was halten Sie von dieser Entwicklung? Werden diese Tendenzen anhalten? Wie stark betrifft es das Thema Russische Revolution?

Richtig ist, dass die Themen Geschichtspolitik und Erinnerungskultur Eingang in die Geschichtswissenschaft gefunden und sich zu einem eigenen Forschungsfeld entwickelt haben. Dazu beigetragen haben auch die Diskussionen, die insbesondere in Mittel- und Osteuropa nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion über die eigene Vergangenheit geführt wurden und werden. Die Tatsache, dass hier jahrzehntelang ein offizielles Geschichtsbild vorgegeben war und offene Diskussionen über alternative Interpretationen nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich waren, wird in Westeuropa oft übersehen und führt dazu, dass diese Standpunkte noch immer nicht ausreichend in den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs einbezogen werden. Dies ist aber eine Voraussetzung, wenn wir uns alle gemeinsam über eine europäische Identität verständigen wollen.

Die russische Revolution spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle, im Vordergrund stehen dabei die Erfahrungen während und in Folge des Zweiten Weltkriegs. Betrachtet man diesen aber in einem größeren Kontext, so geraten auch der Erste Weltkrieg und damit natürlich auch die russische Revolution in den Blick. Tatsächlich ist sie für das Verständnis der Mentalitätsgeschichte ist West- und Osteuropa von entscheidender Bedeutung. Ähnlich wie die Französische war auch die russische Revolution ein Emanzipationsprozess, allerdings kein humanistischer in der Tradition europäischer Revolutionen. Sie stellt vielmehr einen Bruch mit den Revolutionsideen des späten 18. und des 19. Jahrhunderts dar, d.h. mit den Forderungen der bürgerlichen Gesellschaft nach mehr Partizipation an der Politik, mehr Grundrechten und dem Schutz des Einzelnen vor dem Staat. Die Bolschewiki traten nicht für bürgerliche Freiheiten ein oder forderten gar eine Ausweitung dieser Errungenschaften, ganz im Gegenteil, sie sagten sich von diesem Gesellschaftmodell los, erkämpfte Freiheiten wurden eingeschränkt und zurückgenommen. Sie begründeten eine neue Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsform, die mit den Werten der bürgerlichen Gesellschaft brach, und die das Kollektiv über das Individuum stellte.

Was sagen Sie zu der Behauptung, die Russische Revolution sei vom Deutschen Reich finanziert und unterstützt worden? Kann man diese Feststellung historisch widerlegen? Wird dieser Aspekt in der Ausstellung behandelt?

Richtig ist, dass das Deutsche Reich ein Interesse an dem Kriegsaustritt Russlands hatte, um den Zweifrontenkrieg beenden zu können. Aus diesem Grund hat man Lenin und die Bolschewiki unterstützt, die genau dieses Ziel, den Auftritt Russlands aus dem Krieg, verfolgt haben. Im Übrigen war es nicht ungewöhnlich, die politischen Widersacher der eigenen Kriegsgegner zu unterstützten, das haben die meisten Staaten so gemacht. Frei zugängliche Dokumente im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts geben Auskunft darüber. Teile dieser Dokumente sind zudem seit den 50er Jahren publiziert. Wir zeigen zwei Originaldokumente in der Ausstellung.

Noch immer fragen mich aber die russischen Kollegen nach diesem Thema, da die offizielle Interpretation während der Sowjetunion die Beteiligung der Deutschen heruntergespielt hat, um Lenins Initiative und Genialität nicht zu schmälern und ihn nicht als deutschen Agenten dastehen zu lassen. Viele Russen wissen nicht, dass die Akten längst öffentlich zugänglich sind und glauben vielfach noch heute, dass die Unterstützung des Deutschen Reiches ein Mythos ist, um Lenin zu diskreditieren.

Eine direkte Frage: War Vladimir Lenin ein deutscher Spion?

Ganz sicher nicht.

Gibt es in Deutschland einen vergleichbaren Ort wie Zimmerwald in der Schweiz, der eine besondere Bedeutung für die internationale Arbeiterbewegung bzw. die russische Revolution hat?

Nein, einen solchen Ort gibt es nicht. Das hat auch mit der regionalen Struktur Deutschlands zu tun. 1918 und in den Jahren der führen Weimarer Republik gab es politische und revolutionärere Unruhen in verschiedenen Städten und Regionen, an die jeweils lokal erinnert wird. Ein anderer Asket ist die Erinnerungslandschaft der DDR mit vielen Orten zum rituellen Gedenken an die Arbeiterbewegung und Geschichte des Kommunismus.

Aus Anlass der Ausstellung steht eine über 3 Meter hohe Skulptur von Lenin im Foyer des Pei-Baus. Gibt es eine Geschichte hinter diesem Exponat? Haben Sie ein Lieblingsexponat?

Dieses frühe Denkmal für den russi­schen Revolutionsführer wurde 1926 in Puschkin bei Leningrad aufgestellt. Einer Legende zufolge forderte die deutsche Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges die örtliche Bevöl­kerung auf, entweder das Lenin-Denk­mal oder die Kirchenglocken zu opfern, um sie als dringend benötigtes Metall für die Kriegsproduktion einzuschmel­zen. Die Bevölkerung entschied sich für das Denkmal, und so wurde die Skulptur nach Eisleben abtransportiert. Da die Statue für den Schmelzofen aber offenbar zu groß war, überdauerte sie den Krieg. Rund zwei Monate nach Kriegsende erfolgte in Eisleben ein Wechsel der Besatzungstruppen von der US-Armee zur Roten Armee. Um diese zu begrüßen, ließ die Stadt die Statue am 2. Juli 1945 auf dem Markt­platz aufstellen. Die Sowjetunion soll von dieser Geste so gerührt gewesen sein, dass sie die Statue in einer offiziellen Zeremonie im Beisein von Walter Ulbricht am 1. Mai 1948 der Stadt Eisleben schenkte. Nach der Deutschen Einheit entschied der Eislebener Stadtrat die Demontage des Lenin-Denk­mals, das daraufhin 1991 als Dauerleihgabe in das Deutsche Historische Museum gelangte.

Die Skulptur ist in der Tat ein eindrucksvolles Exponat der Ausstellung, da in seiner Geschichte auch die nachhaltige Wirkung der Revolution zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus gibt es aber auch viele weitere tolle Objekte wie z.B. das Gemälde Der Pilger aus einer Berliner Privatsammlung am Anfang des Rundgangs. Als eines der ganz wenigen verfügbaren Exponate für dieses Thema gibt es Auskunft über das bäuerlich geprägte Russland Ende des 19. Jahrhunderts. Oder ein Stück vom Fockmast des Panzerkreuzers Potjomkin sowie eine Wahlurne für das erste gewählte Parlament, der Duma – beides aus dem Staatlichen Historischen Museum Moskau und beides als Zeugnisse der Revolution von 1905.

Unmittelbar aus den Tagen der Februarrevolution stammt eine Regimentsfahne desselben Leihgebers mit dem Leitspruch „Für Glaube, Zar und Vaterland“. Da der Zar nun gestürzt war, übernähten die Soldaten das Wort „Zar“ kurzerhand mit rotem Stoff – der Farbe der Revolution.

Eine tolle Geschichte erzählt eine Bibel, die wir bei dem Thema „Migrationen“ zeigen. Ihr Eigentümer konnte sie nicht mitnehmen, als er 1918 Petrograd verließ. Er erhielt sie schließlich wieder, als ein Freund von ihm genau diese Bibel 1953 mit seiner Handschrift auf einem Trödelmarkt entdeckte und sie ihrem ursprünglichen Besitzer in dessen neuer Heimat, den USA, zurückgab.

Eines meiner vielen Lieblingsexponate ist die Skulptur des russisch-amerikanischen Künstlers Alexander Kosolapov aus dem Jahr 2007, die mit ihrer Darstellung und dem Titel „Hero, Leader God“ am Ende der Ausstellung eine ebenso provokante wie doppeldeutige künstlerische Position der Gegenwart vermittelt. Sie gibt eine mögliche Antwort auf die Frage, warum es sich lohnt, noch 100 Jahre danach über die Russische Revolution nachzudenken.

Welche Unterschiede der Bewertung der Revolution gibt es? Welche Erwartungen haben die Besucher?

Die Revolution wird bis heute sehr kontrovers gedeutet. Um diesen Aspekt in die Ausstellung einzubeziehen, haben wir sowohl im Prolog als auch im Epilog der Ausstellung aktuelle Positionen aufgenommen. Im Prolog kommen Menschen aus Deutschland und Russland zu Wort, die die Bedeutung der Revolution aus heutiger Sicht thematisieren. Im Epilog präsentieren Kunstwerke aus verschiedenen Jahren unterschiedliche künstlerische Auseinandersetzung mit politischen Instrumentalisierungen der Revolution und Zitate von Intellektuellen erweitern den Rahmen zu verschiedenen Interpretationen und Positionen. Damit schließt sich der Bogen zum Anfang der Ausstellung.

Was die deutschen Besucher betrifft, so haben diese ja ganz unterschiedliche Erfahrungen mit dem Thema in der Schule gemacht und sicherlich unterschiedliche Vorstellungen von der russischen Revolution, je nachdem, wo sie groß geworden sind: in der ehemaligen DDR, in Westdeutschland oder wiederum in der Sowjetunion, wie es bei den Russlanddeutschen der Fall ist. Jemand, der in der DDR aufgewachsen ist, denkt bei dem Thema oft nur an die Oktoberrevolution, jemand der aus Westdeutschland kommt, weiß meistens gar nicht, warum die Hälfte Europas das Gedenken an die Oktoberrevolution jahrelang im November begangen hat.

Sehr geehrte Frau Dr. Janeke, wir bedanken uns für das Interview. »russlandkontrovers« und das Deutsch-Russische Forum wünschen Ihnen und dem DHM für die Ausstellung viel Erfolg und zahlreiche interessierte Besucher.