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Kategorie: Analysen, Hintergründe & Kommentare - russland.NEWS - russland.TV

Der Ukraine-Konflikt als Wegbereiter in eine soziale Zukunft? [Podcast-Audio]

[von Kai Ehlers] Der ukrainische Krieg steht nach wie vor, ja, immer noch zunehmend, im Zentrum der internationalen Erregung. Warum ist das so? Das ist eine Frage, die man sich stellen muss. Es ist in Europa ja nicht der erste Krieg nach 1945. Europa hatte Krieg in Nordirland, hatte Krieg in Jugoslawien, mehr als zwanzig Kriege werden zurzeit weltweit ausgetragen. Aber der Krieg in der Ukraine geht ans Mark der heutigen globalen Ordnung. Nicht nur die Europäer fühlen sich betroffen, die ganze Welt schaut auf diesen Krieg, bis hin nach China, bis hin nach Afrika, bis ins südliche Amerika. Also, was ist an diesem Krieg so besonders, dass die Menschheit sich in dieser Weise von ihm bedroht fühlt, wie sonst von keinem der anderen Kriege, die zu gleicher Zeit stattfinden, obwohl von denen mancher durchaus brutaler vor sich geht?

Was ist das Besondere an der Ukraine, dass gerade dort jetzt dieser Stellvertreterkrieg des gegenwärtigen globalen Transformationsgeschehens stattfindet? Warum kann die Ukraine, genauer, das Gebiet der Ukraine, nicht das sein, was sie aus ihrer historischen Dynamik heraus sein könnte, nämlich Brücke zwischen Osten und Westen, Vermittler zwischen Europa und Russland, zwischen dem ehemaligen Sozialismus und der heutigen nachsozialistischen Welt, Impuls für eine selbstbestimmte Gesellschaft zwischen den Blöcken? Warum entsteht dort dieses schwarze Loch, das die Konfliktenergien des Globus auf sich zieht?

Um Antworten zu diesen Fragen finden zu können, muss man, wenn man nicht ins spekulieren geraten möchte, zunächst genauer in die Geschichte des ukrainischen Landes schauen. Dann wird man besser erkennen können, welche Rolle es in der Geschichte als Durchgangsraum zwischen Russland und Europa einnimmt, und wer die heutige Ukraine für eigene Ziele bluten lässt, statt sie in der Entwicklung ihrer Eigenständigkeit zwischen den Blöcken zu fördern.

Hören Sie dazu den unten angezeigten Vortrag, den ich am 29.04.2023 in Wuppertal zu der mir gestellten Frage gehalten habe, ob die Ukraine „als eine Art Superschweiz ein Wegbereiter aus den Sackgassen werden (könne), in denen die Welt steckt.“ Klicken Sie einfach unterhalb auf das Player-Symbol.





Ein Weg zum Frieden – vielleicht

[Kommentar von Gunnar Jütte] Der militärische Konflikt zwischen Russland und der Ukraine dauert seit über einem Jahr an und hat viele Menschenleben gefordert. Welche Wege zum Frieden gibt es? Ich möchte einen aufzeigen, der vielleicht eine Möglichkeit sein könnte. Wichtig bei allen Überlegungen ist immer, was möglich sein könnte. Es gibt viele phantasievolle Vorschläge, die aber völlig unrealistisch sind.

Mit oder ohne Putin

Die Dialogbereitschaft der westlichen Staaten und auch der Ukraine mit dem russischen Präsidenten Putin ist derzeit nicht gegeben. Erst recht nicht nach dem Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag.

Wo soll da der Ausweg sein?

Im Jahr 2024 sollten eigentlich die turnusmäßigen Präsidentschaftswahlen in Russland stattfinden. Da bisher kein Nachfolger für Putin aufgebaut wurde, was angesichts der militärischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine auch unwahrscheinlich erscheint, könnte Putin 2024 noch einmal zur Wahl antreten. Damit wäre aber für den notwendigen Friedensprozess nichts gewonnen und auch Putins Ansehen in Russland könnte bei weiteren Rückzügen in der Ukraine bis zu den Wahlen 2024 weiter schmelzen.

Eine Alternative wäre, wenn Putin den Weg Jelzins einschlagen würde. Am 31. Dezember 1999, knapp vier Monate vor Ende seiner Amtszeit, erklärte Jelzin seinen Rücktritt und übergab um 12 Uhr Moskauer Zeit die Regierungsgeschäfte an Ministerpräsident Wladimir Putin. Als eine seiner ersten Amtshandlungen sicherte Putin Jelzin Straffreiheit zu.

Sollte Putin am 31. Dezember 2023 zurücktreten, würde nach derzeitigem Stand der amtierende Ministerpräsident Michail Wladimirowitsch Mischustin das Präsidentenamt übernehmen. Mischustin gilt nicht als Ideologe, sondern als Pragmatiker und Bürokrat.

Mischustin war Chef der russischen Steuerbehörde. Er hat seine Behörde tiefgreifenden Reformen unterzogen. Die Zahl der Steuerprüfungen bei Unternehmen und Geschäftsleuten ging deutlich zurück, parallel wurden vor allem die Digitalisierung und die Vereinfachung von Prozessen vorangetrieben. Mischustin gilt als der Mann, der die russische Steueridentifikationsnummer – die sogenannte INN – flächendeckend eingeführt hat. Durch die umgesetzten Maßnahmen konnten die Steuereinnahmen deutlich gesteigert und die Schattenwirtschaft zurückgedrängt werden. Die auch im internationalen Vergleich beachtlichen Erfolge und technischen Innovationen fanden in der westlichen Wirtschaftspresse Beachtung.

In der militärischen Auseinandersetzung mit der Ukraine hat sich Mischustin bisher den Möglichkeiten entsprechend sehr zurückgehalten.

Mishustin würde, wie es Putin bereits bei Jelzin praktiziert hat, dem scheidenden Präsidenten eine weitgehende Amnestie gewähren und Putin könnte sich auf einen seiner Landsitze zurückziehen.

Damit wäre der Weg frei für Friedensverhandlungen mit Mischustin als relativ unbelastetem Partner. Zudem hätte Mischustin einige Monate Zeit, sich auf seine Präsidentschaftswahl vorzubereiten.

Da Mischustin seit vielen Jahren Premierminister ist, dürfte er bereits über Netzwerke in den Geheimdiensten und im Militär verfügen. Die Übergabe des Präsidentenamtes von Putin an Mischustin könnte auch ein Signal an die Geheimdienste und das Militär sein, die Füße still zu halten.

Ein Bürokrat und Organisator wie Mischustin könnte sich auch der Unterstützung der kremltreuen Oligarchen sicher sein.

Wie sagte doch der eigentlich kremltreue Oligarch Deripaska auf dem Wirtschaftsforum im sibirischen Krasnojarsk Anfang März: “Schon im nächsten Jahr wird es kein Geld mehr geben. Wir brauchen ausländische Investoren. Das Geld wird knapp, und das macht uns schon jetzt zu schaffen. Wir können nicht jedes Quartal die Spielregeln ändern. Die steinzeitliche Praxis, Geschäftsleute zu verhaften, muss endlich aufhören“, sagte Deripaska, Gründer von Rusal, dem größten Aluminiumproduzenten außerhalb Chinas.

Um Korruption zu bekämpfen und Rechtsstaatlichkeit zu organisieren, braucht man keine Ideologie, sondern Bürokraten.

Frieden mit der Ukraine

In den letzten fast 10 Jahren haben sich die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine aufgrund historischer Vorwürfe immer weiter verschlechtert, bis hin zu der jetzigen katastrophalen militärischen Auseinandersetzung.
Hier muss man wirklich einen Blick in die Geschichte werfen. Nicht in die ukrainische oder russische, sondern in die französische und algerische.

Von 1954 bis 1962 führte Frankreich einen blutigen Krieg in Algerien, vor allem gegen die algerische Befreiungsfront FLN. Die Niederlage Frankreichs im Algerienkrieg gilt als Schlüsselmoment der Dekolonisierungsprozesse im 20. Jahrhundert.

Als Algerien in den 1830er Jahren französisch wurde, war der Gedanke des Kolonialismus durch die Unabhängigkeitsbewegungen lateinamerikanischer Staaten im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten, so dass Algerien nicht als Kolonie, sondern als Teil Frankreichs betrachtet und die Algerier zu französischen Staatsbürgern erklärt wurden. Ein Teil der algerischen Bevölkerung besaß die aktive französische Staatsbürgerschaft. Die Stimmen der Algerier zählten, es gab algerische Künstler und algerische Politiker, die in Frankreich eine wichtige Rolle spielten.

Algerien wurde zu einem paradigmatischen Fall von Dekolonisierung, obwohl es bis dahin als absolute Ausnahme unter den französischen imperialen Besitzungen gegolten hatte. Die französische Regierung beschloss schlicht und einfach, dass das Empire zu Ende war, dass es nicht mehr existierte.

Indem man den Verlust Algeriens als Teil einer unvermeidlichen historischen Entwicklung darstellte, konnte man es vermeiden, sich mit diesem Verlust auseinanderzusetzen. So konnte man sich der Vorstellung entledigen, Frankreich sei besiegt worden, obwohl dies eindeutig der Fall war. Von dem Moment an, als Algerien nicht mehr Teil des Imperiums war, wurde die koloniale Vergangenheit Frankreichs totgeschwiegen. Die Tatsache, dass Frankreich nicht mehr über Algerien herrschte, erlaubte es ihm wiederum, sich als weiße europäische Nation zu präsentieren. Und das viel deutlicher als zuvor!

Was die Situation in Algerien damals in Frankreich zu einem ernsthaften politischen Thema machte, waren weniger die toten Soldaten als vielmehr die Einberufung französischer Bürger aus den Großstädten zum Militärdienst in Algerien. Fast alle männlichen Franzosen einer Generation waren Ende der 1950er Jahre in Algerien. Jede französische Familie hatte plötzlich eine tiefe Verbindung zu diesem Teil der Welt. Die Regierung musste ihren Bürgern erklären, was ihre Söhne oder Ehemänner dort taten, und dem Ganzen einen Sinn geben.

Angesichts des Verlustes Algeriens begannen die französischen Eliten ab 1960, die imperiale Vergangenheit als Teil der französischen Geschichte zu verdrängen, obwohl Algerien über 130 Jahre lang zu Frankreich gehört hatte.

Wie funktioniert dieses „produktive Vergessen“?

Der Begriff des „produktiven Vergessens“ entstand als Reaktion auf die Behauptung einiger Wissenschaftler, die Franzosen seien durch die Gewalt des Krieges und insbesondere durch die von den Franzosen begangenen Gräueltaten so traumatisiert, dass sie nicht mehr über Algerien sprechen könnten.

Die französische Regierung führte sehr bewusst die „Dekolonisation“ als neues Paradigma ein. Damit ermöglichte sie es den Menschen, nicht mehr über Algerien sprechen zu müssen und die Verbindungen zu Algerien zu vergessen. Ein Teil der Anziehungskraft des Begriffs „Dekolonisation“ bestand darin, dass er es den Franzosen erlaubte, die Idee der Niederlage zu vergessen. Produktives Vergessen ist aktives Auslöschen. Es ermöglicht ein Weiterleben, hinterlässt aber auch viele Leerstellen.

Die Betonung von Wahrheit und Versöhnung, die sich nach 1989 vor allem als Lehre aus dem Beispiel Südafrikas herausgebildet hat, ist nicht unbedingt hilfreich. Algerier und Franzosen haben sich nie auf einen solchen Prozess eingelassen. Frankreich hat die Debatte über die Kriegsgräuel einfach abgebrochen. Auch in Algerien ist es bis heute verboten, öffentlich über die Gewalttaten während des Bürgerkriegs in den 1990er Jahren zu sprechen.

Generell gilt, dass Wahrheit und Versöhnung nicht automatisch zu Gerechtigkeit und besseren Gesellschaften führen. Es gibt durchaus die historische Möglichkeit, weiterzuleben, indem man dafür sorgt, dass die Menschen nicht mehr über die schrecklichen Dinge sprechen, die geschehen sind.

Die Entkolonialisierung Frankreichs ist sicherlich ein Modell für den Ausstieg aus dem Imperium. Sie basierte vor allem auf Lügen und der Bereitschaft der übrigen Welt, diesen Prozess zu akzeptieren. Sie ist auch ein fruchtbares Beispiel für den Umgang mit einer Niederlage: Die Algerier bekamen, was sie wollten, und die Franzosen konnten weiterziehen.
Tatsächlich nutzte de Gaulle die Entkolonialisierung Frankreichs, um den Staat umzugestalten: Große Teile der Institutionen der heutigen Französischen Republik entstanden parallel zur Unabhängigkeit Algeriens und wurden durch den juristischen Prozess der Sezession Algeriens von Frankreich beeinflusst.

Was Frankreich schließlich half, seine imperiale Nostalgie zu überwinden, waren die dreißig „glorreichen“ Jahre des wirtschaftlichen Aufschwungs, die Ende der 1950er Jahre begannen. Dieser löste viele Probleme. Die Probleme zwischen Frankreich und Algerien blieben, aber die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind nach wie vor eng. Die algerische Bevölkerung ist auch heute noch an Frankreich interessiert und eng mit dem Land verbunden.

Alles in allem vielleicht ein Format, das man sich als Grundlage für eine zukünftige Friedensorganisation zwischen Russland und der Ukraine vorstellen könnte.

Das alttestamentarische Auge um Auge, Zahn um Zahn muss ein Ende haben, sonst wird der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine noch Jahrzehnte andauern. Zu viele Konflikte sind immer wieder mit dem Argument vermeintlicher historischer Gegebenheiten oder aus Rache für vermeintliche Gräueltaten ausgebrochen. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden.




Antje Vollmer – Eine Friedensbewegte

[von Alexander Rahr] Am 15.3.2023 verstarb Frau Antje Vollmer, eine der bekanntesten Friedenspolitikerinnen in Deutschland, Gründungsmitglied der Partei der Grünen in den 1980er Jahren, später Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages. Die fast 80-jährige Antje Vollmer konnte in der Berliner Zeitung, kurz vor ihrem Tod, ihr politisches Vermächtnis veröffentlichen. In Deutschland stieß ihr Artikel auf breite Zustimmung. Weniger bekannt ist die Vermächtnis-Rede, die Frau Vollmer Ende Januar vor Teilnehmern des deutsch-russischen Bismarck-Dialogs, als sie krankheitsbedingt kaum noch sprechen konnte, gehalten hat.

Antje Vollmer stellte drei Prinzipien für die deutsche Politik auf. Sie hielt die Umorientierung der deutschen Diplomatie auf Themen des Feminismus für nicht zeitgemäß. Sie sah keine echte Alternative zur klassischen Friedenspolitik, keine Alternative zur Fortsetzung der Verständigung und Aussöhnung mit dem russischen Volk, und keine Alternative zum Aufbau einer gemeinsamen Koexistenz Westen-Russland in Europa.

Die Ex-Grüne-Politikerin übernahm weder pro-russische, noch pro-amerikanische Positionen. Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine kritisierte sie als unnötigen Anstoß zu einem möglichen Weltkrieg, der das Haus Europa zerstören würde. Sie kritisierte den ausufernden Bellizismus in Deutschland, vor allem in ihrer Partei der Grünen, der ausschließlich auf eine Niederlage Russlands und einen militärischen Sieg der Ukraine setzte, ohne dass ernsthaft über eine Friedensdiplomatie nachgedacht wurde. Irgendwann sei der Konflikt in der Ukraine zu Ende und die Konfliktseiten bräuchten danach schnell eine einvernehmliche Lösung, wie man die neuerliche Teilung Europas verhindere und eine funktionierende Sicherheitsarchitektur schaffen könne, die weitere Kriege verhindern würde.

Antje Vollmer sprach sich im engen Kreis für die Beibehaltung des Petersburger Dialogs aus. Ein solch wichtiges strategisches und diplomatisches Instrument dürfe Deutschland nicht planlos aus der Hand geben. Für die Zukunft würden solche Plattformen verstärkt für das kommende Friedensstiften benötigt werden, auch für Vertreter der nachrückenden Politikergeneration und Zivilgesellschaft. Naiv waren diese Vorstellungen keineswegs, sondern realistisch.

Ganz und gar nicht einverstanden war die Grand Dame der deutschen Nachkriegspolitik vom Selbstverzicht Deutschlands, in den 2020er Jahren die langjährige Vermittler-Rolle zwischen Russland und dem Westen weiter zu spielen – eine wichtige historische Diplomatie, die alle Vorgänger von Bundeskanzler Olaf Scholz verantwortungsbewusst praktizierten. Und die von Moskau selbst akzeptiert war. Auch der schlimmste Konflikt, wie der jetzt in der Ukraine, dürfe nicht dazu führen, dass Deutsche ihre Aussöhnungspolitik mit Russland, die Europa stabilisiert und nicht (wie heute fälschlicherweise gesagt wird) destabilisiert hatte, völlig über Bord werfen.

In vielen internen Gesprächsrunden, die Frau Vollmer in ihrer Berliner Wohnung initiierte, wurde heftig darüber diskutiert, ob die EU sich weiter erweitern oder die Werte-Politik irgendwann an ihre geopolitischen Grenzen stoßen würde. In der arabischen Welt sei sie vor einem Jahr schon gescheitert. Bei aller Freude und Stolz über die Errungenschaften der Aufklärung und der Freiheitsidee in der Europäischen Union, müsste der Westen es lernen, in guter Nachbarschaft mit schwierigen, fremden (und teils neu erstarkten) Kulturräumen zu leben – des Weltfriedens wegen. Ein Weltkrieg der „Demokraten gegen Autokraten“, wie es die USA wollten, würde am Ende eine kaputte Welt hinterlassen. Hier seien in der Vergangenheit gravierende Denkfehler im Westen gemacht worden.

Interessant war Antjes Vollmer Idee von einer Wiederbelebung der Idee der Bewegung der Blockfreien. Um eine Bipolarität in der Weltpolitik zwischen Westen bzw. China/Russland zu verhindern, müssten Länder des Global South, vielleicht sogar die Ukraine, zu Initiatoren der Formierung dieses wichtigen Kraftzentrums der Weltpolitik werden. Die blockfreie Bewegung würde zur Abminderung des globalen Einflusses des Westens führen – aber auch die Achse Peking-Moskau unnötig machen.

Alexander Rahr, Senior Fellow WeltTrend Institut für Internationale Politik, Osteuropahistoriker und Publizist.




Russlandkontrovers wieder geöffnet

Im Juni 2022 haben wir die Seite Russlandkontrovers vorübergehend geschlossen. Die politische Situation ließ keine kontroversen Diskussionen mehr zu und es war nicht mehr möglich, die Flut von Leserkommentaren unzensiert zu veröffentlichen.

Jetzt, nach mehr als einem Jahr militärischer und politischer Veränderungen in Russland, Europa und der Welt, halten wir es für angebracht, Russlandkontrovers wieder zu beleben. Wir sehen diese Wiederbelebung auch als Widmung an die kürzlich verstorbene Friedensaktivistin Antje Volmer, die sich als langjähriges Mitglied des Deutsch-Russischen Forums und des Petersburger Dialogs unermüdlich für ein friedliches Miteinander auch und gerade zwischen Deutschland und Russland eingesetzt hat.

Verstehen wir die Wiedereröffnung als Hommage an Antje Vollmer und als Plattform, die sich für die Chancen des Friedens einsetzt.

Die Kommentarfunktion bleibt vorerst deaktiviert und in den nächsten Tagen werden wir die Seite an einigen Stellen umbauen und aktualisieren.

Der erste Beitrag auf der neu eröffneten Seite von Russlandkontrovers ein Beitrag über Antje Vollmer von Alexander Rahr, Senior Fellow WeltTrend Institut für Internationale Politik, Osteuropahistoriker und Publizist.

Gunnar Jütte/Herausgeber




„Wladimir Putins Rolle im russischen Machtgefüge“

[ von Kai Ehlers ] Überarbeitete und aktualisierte Fassung eines Vortrags, gehalten bei einer Veranstaltung der Marx-Engels-Stiftung in Kassel am 14.05.2022

Liebe Freundinnen, liebe Freunde. Um Putins Rolle in der Machtstruktur, in der Politik Russlands richtig einordnen zu können, reicht es nicht, ihn als „KGBtschik“ klein reden zu wollen, ebenso wenig ihn als demokratisch gewählten Präsidenten zu verharmlosen, noch weniger allerdings ihn als Faschisten zu dämonisieren, wie es gegenwärtig in unseren Medien geschieht, die Putin als jemand darstellen, der Russland in den Faschismus führe und durch Regimechange abgelöst werden müsse. Nichtsdestoweniger muss man sich diesen Fragen irgendwie nähern und versuchen Kriterien zu finden, wer Putin ist, wer er war und wer er sein könnte. Notwendig ist daher zunächst, einen kurzen Blick auf die russische Geschichte zu werfen, um zu erkennen, welchen Platz Putin jetzt darin einnimmt. Das können in der Kürze dieses Vortrags natürlich nur Stichworte sein. In diesem Sinne soll jetzt Folgendes sehr knapp skizziert werden.

Elemente der russischen Realität

Erstens: Russland ist nicht Europa. Entgegen allem, was dazu geschrieben wird, ist Russland nicht Europa. Aber Russland ist auch nicht Asien. Russland ist das Gebiet zwischen Europa und Asien – geografisch, geschichtlich, kulturell und politisch. Es ist der Raum zwischen westlichem Individualismus und östlichem Kollektivismus. In dieser Tatsache wird der rote Faden sichtbar, der sich durch die ganze russische Geschichte zieht, in der auch Putin steht: Russland als Hybrid zwischen Westen und Osten, zwischen westlichen und östlichen Staatsvorstellungen, als Zwischenraum für sich

Weiterhin, Russland, dieses gewaltige Gebiet zwischen Wladiwostok und Europa, ist nahezu autark. Russland hat natürliche Reichtümer, ÖL, GAS, Wald, weite Ackerflächen usw. usw., von denen es ohne Fremdversorgung leben könnte. Russland hat eine Vielvölkerkultur, in der nicht nur Einzelne sich miteinander vermischt haben, sondern ganze Kulturen, ganze Völker sich im Laufe der Geschichte miteinander zu einer Gesamtheit verbunden haben. Und Russland hat eine Gemeinschaftstradition, die auf Grund ihrer Strukturen der Selbstorganisation, ihrer Datschen, ihrer eigenen Gärten, der Tradition kollektiver Selbstversorgung unter den so gewachsenen natürlichen und historisch gewachsenen Bedingungen die Fähigkeit entwickelt hat, in Krisen auch auf niedrigstem Niveau zu überleben, was im gegenwärtigen Sanktionskrieg gegen Russland wieder eine große Rolle spielt.

Weiterhin ist Russland entgegen dem, was immer wieder, auch jetzt wieder geschrieben wird, kein einheitlicher, schon gar kein nationalistischer, gar ethnisch einheitlicher Nationalstaat. Russland ist ein Vielvölkerorganismus, bestehend aus verschiedenen Völkern, die sich miteinander verbunden haben – verschiedene Kulturen, verschiedene Sprachen bis hin zu verschiedenen Religionen. Das wesentliche Organisationsprinzip dieser Völkergemeinschaft, wenn man überhaupt von Prinzipien sprechen will und nicht einfach von lebendigen Prozessen, ist die Integration, das heißt, nicht die Beherrschung von oben, außerstaatlichen Gebieten, sondern das Verschmelzen unterschiedlicher Völker und Kulturen im Laufe der Geschichte als innerer POrozess. So gibt es in Russland einen doppelten Patriotismus. Wenn ich, um ein Beispiel zu nennen, meine tschuwaschischen Freunde an der Wolga frage, worin ihr Patriotismus begründet ist, dann antworten sie: Ich bin vaterländischer russländischer Patriot und zugleich bin ich tschuwaschischer Patriot. Das lebt miteinander, nicht immer ganz harmonisch, salopp gesagt, aber es lebt miteinander.

Das eurasische Wagenrad

Das alles, was ich hier schildere, ist in ein Bild zu fassen. Das Bild, das ich selbst in meinen Beschreibungen Russlands dafür gewählt habe, ist ein großes Wagenrad, das alte Wagenrad mit der Nabe in der Mitte und den Speichen nach allen Seiten: Das Zentrum, das sich da herausgebildet hat, von dem die Entwicklung ausgegangen ist, ist Moskau. Die Speichen führen in die Peripherien, nach Norden bis zur Ostsee, nach Osten bis Wladiwostok, nach Süden in den Kaukasus und auch nach Westen.  Dieses Bild bitte ich Euch vor Augen zu haben bei allem, was ich hier noch über Russland sagen werde: Zar und Dorf bilden eine Polarität, in der sich die Pole gegenseitig stützen, Zar als Selbstherrschaft, Dorf im Prinzip als Selbstverwaltung, sogar Selbstversorgung. Das sind polare Gegensätze, die aber verbunden sind in untrennbarer Abhängigkeit voneinander. Das eine kann ohne das andere nicht sein.

Man kann auch sagen: Zentralismus in Moskau und herrschaftsferne Elemente im Land, Selbstherrschaft und Oligarchie, das sind so diese traditionellen Gegensätze. Verbunden sind sie nicht durch verfassungsmäßige Organe, sondern in einer personalen Struktur, ich betone das: in einer personalen Struktur! Man hört, wenn man in Russland unterwegs ist:  Guter Natschalnik, also guter Chef, gute Verhältnisse; schlechter Natschalnik, schlechte Verhältnisse. Guter Präsident, gute Gesellschaft; schlechter Präsident, schlechte Zeiten. Guter Zar, gute Zeit; schlechter Zar, schlechte Zeit. Das ist etwas, was den Menschen in Russland tief im Blut liegt, dieses personale Verständnis ihrer Gesellschaft.

Dieses Verständnis wurde, um es gleich dazu zu sagen, auch durch die Sowjetunion nicht aufgehoben, sondern genau in diesen Strukturen übernommen. Die Sowjetunion hat sich auf dieser Basis weiterentwickelt: Parteizentrum und Sowchosen/ Kolchosen, die ganze kollektive Organisation des Arbeitslebens, des Alltags im Land.  Das ist die gleiche Polarität wie in den Jahrhunderten zuvor, nur ins Moderne, ins Bolschewistische übertragen. Das muss man sich klarmachen, um zu begreifen, wohin sich dieses Land in Anknüpfung an diese doppelte, an diese zweimal gebrochenen Tradition jetzt zurück oder vorwärts bewegt.

Der Kapitalismus, der sich in diesem Lande entwickelt hat, schon in der Zarenzeit und natürlich jetzt umso mehr, ist ebenfalls ein hybrider. Das heißt, wir haben keine rein kapitalistischen, monopolkapitalistischen Verhältnisse, die sich in Russland entwickelt haben, keine reine Fremdversorgung. Wir haben eine ressourcengestützte Wirtschaft, gewissermaßen sogar eine Ressourcenverwaltung, bis hin zu Formen der individuellen und kollektiven Selbstversorgung in den einzelnen Betrieben, Dörfern usw. auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber entwickelte Monopolkapitale, die sehr wohl im internationalen Zusammenhang des Monopolkapitalismus stehen und Supermärkte. Auch hier, ich betone das, zeigt sich wieder diese hybride Grundstruktur der russischen Gesellschaft, dieses russischen gesellschaftlichen Organismus.

„Verwirrte Zeiten“ – und ihre immer neue Überwindung

Und nun schauen wir uns das Ganze noch einmal in der historischen Abfolge an. Da gibt es einen russischen Begriff, den zu verstehen zum Verständnis dessen, was gegenwärtig in Russland geschieht, sehr wichtig ist. Der Begriff heißt „Smuta“. Smuta, das ist die große, verwirrte Zeit. Eine Smuta hat es gegeben nach dem Tod Iwans IV. am Ende des 15. Jahrhunderts, genauer, von seinem Tod 1584 bis zum Jahre 1613. Da wurde ein junger Mann, Michael aus dem Hause Romanow, siebzehn Jahre alt, von den Einzelfürsten, den Bojaren dazu gekürt, das Erbe des Wagenrades zu übernehmen, dessen Speichen seit dem Tod Iwans IV. in separate Fürstentümer zerfallen waren. Da glaubten die Bojaren, sie hätten jetzt einen jungen Burschen gefunden, den sie kujonieren könnten, mit dem sie machen könnten, was wollten, um so ihren separaten Interessen nachzugehen.

Dann zeigte sich aber, dass dieser junge Bursche in der Lage war, eine Dynastie aufzubauen, eben die der Romanows, die dieses Wagenrad nicht nur wieder restaurierte, sondern darüber hinaus stärkte und weiter ausbaute. Diese Dynastie regierte bis zur Februarrevolution 1995, bzw. der Oktoberrevolution 1917. Bis dahin hat sie das Rad des russischen Zarentums beständig ausgeweitet, immer in derselben Formation, die ich eben geschildert habe. Daran haben auch zwischenzeitliche regionale Unruhen nichts geändert. Naja, blutig waren diese schon, aber an der Struktur des Wagenrades, der Polarität von Selbstherrschaft und Dorf haben sie nichts geändert.

Die zweite große Smuta, die Russland erlebte, erstreckte sich von der Februarrevolution 1905, die eine erste  Schwächung des Zaren brachte, über die Oktoberrevolution 1917, den darauf folgenden Bürgerkrieg bis zur Stabilisierung der Sowjetunion in den Jahren 1920/22. Was ist da geschehen? Es entstand eine Wiederholung des Gleichen auf neuem Niveau: Das Land war wieder ins Chaotische abgesunken und die Bolschewisten, Lenin, dann Stalin haben die Speichen des Rades unter der Parteiherrschaft wieder zusammengeführt. Es hatte sich im Wesentlichen nichts geändert. Es hatte sich etwas in der Ideologie geändert, aber nicht in der Struktur des Landes.

Nach dem Ende der Sowjetunion, hat sich eine dritte Smuta in diesem Großraum ereignet, die Putin nicht zu Unrecht als eine der größten Katastrophen des letzten Jahrhunderts bezeichnet hat, nämlich der Zerfall des sowjetischen Reiches, der wieder einmal einen chaotisierten Raum bis an die Grenzen Europas hinterließ.

Dies alles muss man sich klar machen, wenn man begreifen will, wer heute Putin ist und warum er so sein kann, wie er ist.  Er ist in dieses Erbe eingetreten.

Mr. Nobody übernimmt das Erbe

Das war ist wichtig anzuschauen, bevor wir darüber geredet wird, ob Putin etwas verborgen hat, als er antrat, ob er die Welt getäuscht hat, ob er sich verändert hat, ob er verrückt geworden ist, ob er ein Diktator ist wie Hitler oder Stalin oder dergleichen, wie es gegenwärtig durch die Medien der westlichen Welt geht. Und ob er so leicht aus dem Zentrum der Macht entfernt und ersetzt werden kann, wie manche westliche Schlauköpfe das meinen.

Zu all diesen Fragen kann man sagen, auch dies der Kürze wegen nur in Stichworten und ganz einfach: Putin ist angetreten, genau wie seinerzeit Michael Romanow, als Mister Nobody. So wurde er in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Er war ein unbekannter Aufsteiger. Die Oligarchen, die unter Jelzin das gesellschaftliche Ruder in der Hand hielten, glaubten damals mit diesem Nobody machen zu können, was sie wollten.

Tatsächlich hat dieser Putin dann mit wenigen Sätzen zwar kein großes Programm formuliert, aber seine Absichten sehr deutlich gemacht, nämlich: Ich will erstens eine Diktatur des Gesetzes einführen. Das hieß, ich will das Chaos beenden, das die Zeit Jelzins im Lande hinterlassen hat, in dem sämtliche Solidarstrukturen, überhaupt sämtliche verlässlichen gesellschaftlichen Strukturen, Parteistrukturen sowieso, zerfallen sind und die Mafia herrscht. Ich will, hieß das im Klartext, dass wieder Steuern, dass wieder Löhne gezahlt werden, dass wieder soziale Verhältnisse eintreten, Versicherungen aufgebaut werden, kurz, dass wieder Regeln, und zwar unsere eigenen, nicht fremde im Lande herrschen. Das war seine erste Ansage. Seine zweite Ansage war: Ich will, dass dieses Russland wieder in die Funktion eintritt, die seiner historischen Rolle entspricht, nämlich Integrationsknoten in Eurasien zu sein. Das waren die beiden Ansagen, mit denen Putin antrat, kurze Mitteilungen nur, kein ausgearbeitetes Programm, nur der erklärte Wille ein starkes Russland wiederaufzubauen.

Wenn man von heute aus zurückschaut, dann sieht man, dass sich diese Vorstellungen Putins auch damals schon auf konservative Denker bezogen, nämlich auf solche, die die traditionellen Organisationsformen Russlands für optimal hielten, ein Iwan Iljin, der die monarchischen Strukturen für optimal hielt, um Eurasien regieren zu können, auch ein Anton Denikin, weißrussischer General, der die bolschewistische Revolution bekämpfte. Als Präsident ließ Putin die sterblichen Überreste beider ins Land zurückholen, um sie dort zu erneut bestatten. Diese beiden historischen Gestalten repräsentieren zweifellos politische Vorstellungen, die heute in Putin leben. Putin ist eben, wie schon gesagt, nicht nur einfach ein KGBler, sondern greift mit seinen Vorstellungen von der Gesundung Russlands weit in die zaristische Zeit zurück. Wichtig ist aber auch zu wissen: Putin ist kein Stalinist, auch kein Leninist, im Gegenteil, er ist ein Antikommunist, zugleich ist er Neoliberaler, also im Ergebnis ein Modernisierer, der sich auf die zaristischen Traditionen stützt. Dies nur kurz zur Einschätzung von Putins persönlichem politischen Herkommen. Man könnte ihn einen modernen Wahlmonarchen nennen oder wie es in Russland halb scherzend, halb sarkastisch zu hören ist: Putin ist unser neuer Zar, ganz einfach. Ich selbst nenne ihn einen autoritären Modernisierer, der im Spagat zwischen Neoliberalismus und monarchistischer Tradition steht und aus dieser Haltung heraus das Land sanieren will.

Putins Maßnahmen

Entsprechend dieses Programms, mit dem er angetreten ist, bestand Putins erste Aktion in der Einrichtung einer siebenstrahligen Supervision über die Regionen Russlands, die er auf diese Weise dem Kreml, sich selbst direkt unterstellte. Diese Kontrolle lief quer zu den föderalen und regionalen, quer zu den gewachsenen organischen Strukturen des Landes.

Der zweite Schritt zur Sicherung dieser neu eingezogenen Struktur war der Tschetschenienkrieg; es war der zweite, nachdem Jelzin sich aus dem ersten zurückziehen musste. Der zweite Tschetschenienkrieg war sehr brutal. Er war gegen den tschetschenischen islamistischen Separatismus gerichtet. Aber die Brutalität ging nicht nur von Putin aus, sondern war auch durch das gegeben, was sich vorher in diesem Krieg aufgebaut hatte, nämlich eine Gesetzlosigkeit, die sich über die ganze russische Föderation ausbreitete. Ich habe das seinerzeit selbst erlebt, als ich mich zu Recherchen in Kasan und der tatarischen Republik aufhielt. Von dort zogen Freiwillige nach Tschetschenien, um sich an den Kämpfen für die Einrichtung eines islamischen Gottesstaates zu beteiligen. Die Kämpfe wurden von außen durch Saudi Arabien und nicht zuletzt auch durch Zbigniew Brzezinski unterstützt. Der wurde dort wieder aktiv, nachdem er schon dazu beigetragen hatte, dass die Sowjetunion über Afghanistan gestolpert war.

Tschetschenien war zu der Zeit ein schwarzes Loch, in das man nicht mehr reisen konnte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, als Geisel genommen, verkauft oder gar getötet zu werden. Grosny, die Hauptstadt der Region, lag nach dem Krieg in Trümmern. Die Bilder werden jetzt wieder ausgegraben, um damit Putins generelle Bereitschaft zur expansiven Aggression zu beweisen. Aber der Vergleich zum jetzigen Krieg in der Ukraine macht keinen Sinn. Es war ein anderer Prozess, der da in Tschetschenien seinerzeit stattfand: Es war die Verteidigung der inneren Situation, nicht zuletzt auch gegen Eingriffe von außen, und nicht etwa ein Angriff nach außen.

Die zweite Aktion, nicht zeitlich, sondern von der Rangfolge ihrer Bedeutung her, bestand darin, dass Putin dafür sorgte, dass Russland die Altschulden der Sowjetunion bei der Weltbank beglich und die weitere Annahme von IWF-Krediten kündigte, die unter Jelzin astronomische Höhen erklommen hatten. Das war eine klare Ansage: Wir lassen uns von Euch nicht in die Schuldenfalle treiben. Wir wollen unseren eigenen selbstständigen Weg gehen.

Das dritte Element zur Sicherung der putinschen Herrschaft war die Einbindung der Oligarchen – also Beresowskis, Gussinskis, Chodorkowskis und anderer – die sich in der Zeit Jelzins das Kollektiveigentum der Gesellschaft als Privateigentümer angeeignet hatten und als Privateigentümer Staatspolitik machten. Putin gelang es, ohne dass ich jetzt im Einzelnen darauf eingehen kann, wie ihm das gelungen ist, diese privaten oligarchischen Korporationen in eine neue Verantwortung einzubinden, sie zu veranlassen wieder Steuern, wieder Löhne zu zahlen, sich wieder für soziale Strukturen verantwortlich zu fühlen usw. Der private Charakter des unter Jelzin entstandenen oligarchischen Eigentums blieb erhalten, wurde aber ergänzt durch Einführung staatlicher Aufseher in diese Korporationen. Diese Aufseher waren nicht selten Vertreter des FSB. Auf diese Weise entstand eine Verflechtung zwischen Privatkapital und Staat. Diese Verbindung ist ein wesentliches Element der putinschen Herrschaft.

Ein weiterer Schritt, der noch benannt werden muss, ist Putins Auftreten nach außen, mit dem er die Stabilität, die er nach innen geschaffen hatte, auch nach außen trug. Ich erinnere hier nur kurz an Putins Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz von 2007. Dem folgten seine Aktivitäten im Ausland, in denen er dem Militarismus der USA als Kritiker entgegentrat, bis hin zu seinem Wirken als Krisenmanager in Syrien usw. Das erwähne ich hier nur in der durch die Zeitvorgaben gebotene Kürze.

Mit dieser Agenda, das sei hier abschließend klar gesagt,  war Putin innenpolitisch wie außenpolitisch der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Platz.

Das „System Putin“ – sichern des Konsenses

All dies, was ich zu Putins Herrschaft gesagt habe, wird von westlichen Soziologen unter dem Stichwort „Politbüro 2.0“ gefasst, um das sich eine Reihe von „Selektoraten“ gruppiere, in denen Putin als „Schiedsrichter“ fungiere. Gemeint sind mit den „Selektoraten“ ganz unterschiedliche Organe der Gesellschaft, also die diversen Exekutivorgane, zudem die „Silowiki“, also die Machtorgane, die Geheimdienste, das Militär, die Justiz. dann die Oligarchen, die föderalen Kräfte, die Kirchen, Menschenrechtsorganisationen und schließlich auch solche Organe wie der „Isborski Club“, eine Vereinigung von gemäßigt Konservativen wie Alexander Prochanow bis hin zu extrem Rechten wie dem berüchtigten Machtmystiker Alexander Dugin. Dem Präsidenten direkt unterstellt sind zudem diverse Einsatztruppen: die Präsidentengarde, der föderale Wachdienst, der FSB, also der Geheimdienst, seit 2016 auch die Nationalgarde.

Also, das ist eine Herrschaftsform, die ist abgesichert, sie ist auch föderal und verfassungsmäßig untergliedert. Es ist dennoch kaum möglich, diese Struktur exakt nach föderal-demokratischen Prinzipien zu beschreiben. Putin ist einfach oberster Kriegsherr. Er bestimmt die Richtlinien der Politik. Er hat praktisch in allen Fällen die Möglichkeit einzugreifen in die unteren Organe, die diesem „Politbüro 2.0“ beigeordnet sind. Er garantiert als oberste Instanz den Konsens der widerstreitenden Interessen. Die Definition, mit der westliche Soziologen diese Herrschaftsform beschreiben, lautet: Bonapartismus. Das ist nicht schlecht. Das kann man so sagen. Bonapartismus ist ja eine Herrschaftsform der fürstlichen, obrigkeitlichen Zentralisierung bei gleichzeitiger Freiheit für die bürgerlichen Kräfte und Träger des Kapitals, sich, soweit sie sich in Übereinstimmung, im Konsens mit den Staatszielen halten, selbstverantwortlich zu entwickeln.

Bleibt nur ein Unterschied zum klassischen Bonapartismus, nämlich, dass Putin diesen Konsens stetig aufs Neue wieder sichern muss. Und bleibt als Letztes die Frage, und damit komme ich schon zum Schluss: hat Putin sich bei dieser Machtfülle, die er hat, mit dem Krieg, der jetzt in seinem Namen gegen die Ukraine geführt wird, verzockt? Hat er einen Schritt gemacht, der den Konsens sprengen könnte? Droht ihm von innen aus dem Lande Widerstand, der ihn zur Aufgabe seiner Rolle als „Schiedsrichter“ zwingen könnte?

Ist der Konsens gefährdet?

Ich würde sagen, aktuell nein. Zu rund 80% ist die Bevölkerung zwar nicht für diesen Krieg, aber sie spricht sich auch nicht gegen ihn aus. Vielleicht zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent der Befragten protestieren gegen diesen Krieg wie überhaupt gegen Krieg schlechthin. Die Zahlen der Umfragen sind unter dem aktuellen Druck des Krieges nicht sehr verlässlich. Die ganze Situation aber so zu beschreiben, wie das in den deutschen Medien gegenwärtig geschieht, nämlich dass Putin das Land in einen Faschismus hineinführe, ist einfach vordergründig, oberflächlich, ist westliches Wunschdenken. Das geht an den realen Verhältnissen in Russland vorbei, weil es all diese Strukturen, die ich in meinem Vortrag aufgezeigt habe, nach Kriterien misst, die wir aus den westlichen Gesellschaften kennen. Denen zufolge kann von Faschismus dann gesprochen werden, wenn die Masse der Bevölkerung mit Teilen der Bevölkerung von oben unterdrückt wird. Diese Art von Vorstellung kann man sich aber abschminken. Das ist nicht das, was gegenwärtig in Russland geschieht. Der gegenwärtige Krieg in der Ukraine findet letzten Endes eine geduldete Zustimmung seitens der Mehrheit der Bevölkerung. Und wenn der Westen glaubt, man könnte Putin in einem Regimechange ersetzen, dann ist das ebenfalls ein großer Irrtum. Putins Umgebung, das „Politbüro 2.0“ und sein Umfeld sind dazu nicht bereit, jedenfalls nicht solange der Krieg noch stattfindet. Zu tief sitzt die Angst vor einer neuen Smuta nicht nur in der russländischen Bevölkerung allgemein, sondern auch in den herrschenden Kreisen

Selbst wenn es gelänge Putin unter den gegebenen Umständen durch einen Regimechange zu ersetzen, wäre das Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit ein ziemliches Chaos, was sich kein russischer Politiker, auch kein möglicher Nachfolger Putins wünschen kann. Die Nabe, deren Zusammenführung Putin in dem neuen Zentralismus repräsentiert, würde gefährdet und zerschlagen. Sie zu restaurieren wäre zu Kriegszeiten kaum und wenn doch, dann nur mit Gewalt möglich. Das weiß man im Übrigen nicht nur in Russland, das wissen auch die US-Amerikaner, jedenfalls einige klügere Köpfe, die inzwischen vor einen Zerstörung Russlands warnen, wie man etwa von Henry Kissinger neuerdings hören konnte. Die Amerikaner wollen zwar, dass Russland auf dem Bauch kriecht und sich wie unter Jelzin wieder öffnet für die westliche, die amerikanische Kolonisierung, aber sie wollen Putin nicht einfach abschießen, Russland nicht einfach „zerstören“, weil sie wissen, wie gefährlich das Chaos wäre, das daraus resultieren würde. Der deutschen und europäischen Politik fehlen offenbar solche Einsichten und es wird noch etwas dauern, bis die vorsichtigeren amerikanischen Botschaften hier nachgesprochen werden.

Kommen wir zum Schluss: Was zu wünschen ist, wie immer der Krieg in der Ukraine ausgehen mag, gleich von welcher Seite her sein Ausgang betrachtet wird, ist die Vermeidung einer neuen Smuta, eines chaotisierten Eurasiens, das heißt letztlich nicht nur Russlands, sondern Russlands  u n d  Europas. Das bedeutet mit Russland zu reden, mit der Ukraine zu reden, Waffenstillstandverhandlungen sofort einzuleiten, Ziele für eine Befriedung der Ukraine zu entwickeln und und und. Darauf gilt es mit allen Kräften von allen Seiten hinzuwirken. Auf die einzelnen Schritte, die in diese Richtung führen könnten, kann ich mich in der Kürze jetzt hier nicht einlassen. Dafür braucht es mehr als nur einen Vortrag.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

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Dieser Vortrag wurde auf der Tagung „Russlands Krieg in der Ukraine“ der Marx-Engels-Stiftung am 14.05.2022 in Kassel als einer von vieren gehalten. Drei weitere Vorträge befassten sich mit den Zielen des Krieges, mit den Positionen der russischen Linken zu diesem Krieg und schließlich mit den Auswirkungen, die der Krieg für den Alltag der russischen Bevölkerung hat. Die Veranstaltung wurde als Präsenzereignis unter Zuschaltung digitaler Teilnehmer/innen durchgeführt. Die Zeit pro Referat war auf fünfundzwanzig Minuten beschränkt.

Alle vier Beiträge sind unter dem Link https://my.hidrive.com/share/0-3q5a.5ld#$/

im beigefügten Video dokumentiert.

 

Anmerkung:

Zur weiteren Befassung mit dem Thema verweise ich auf meine Website:

www.kai-ehlers.de dort insbesondere auf die Texte

 

Wer will welchen Frieden? Zur Frage nach den Zielen im Ukrainischen Krieg. vom 23.05. und

„Neue Sicherheitsarchitektur“? Warum nur für Europa? Warum erst jetzt? Warum nicht gleich?  27.04.2022

 

Zum tieferen Verständnis von Russlands verweise ich außerdem auf mein Buch:

„Russland – Herzschlag einer Weltmacht“

(zu bestellen unter https://kai-ehlers.de/buch/russland-herzschlag-einer-weltmacht/ )




Wer will welchen Frieden? Zur Frage nach den Zielen im Ukrainischen ……

[von Kai Ehlers] Wer Frieden will, muss nach den Ursachen des …..es fragen. Drei Ansätze schälen sich dafür bei der Analyse des …..sgeschehens in der Ukraine heraus. Der eine lautet: Wer ist in diesem ….. Aggressor und wer der Angegriffene? Der andere: Wie könnte eine Verhandlungslösung für einen zukünftigen Status der Ukraine aussehen? Und schließlich: Was also hieße es, Brücken zu bauen?

Zur Beantwortung dieser Fragen macht es keinen Sinn, im Einzelnen auf die …..spropaganda einzugehen, mit der wir tagtäglich überschüttet werden. Ebenso wenig macht es Sinn, sich an Spekulationen zu beteiligen, wann, unter welchen Umständen und ausgelöst durch wen der ….., der zurzeit auf dem Boden der Ukraine mit konventionellem Kriegsgerät ausgetragen wird, in einen atomaren ….. übergehen k ö n n t e. Spekulationen dieser Art haben allein den Effekt, man ist versucht zu sagen, die Funktion, Ängste in der Bevölkerung zu schüren, um die Belieferung der Ukraine mit „schweren Waffen“ als das kleinere Übel erscheinen zu lassen.

Sinnlos ist auch zu fragen, wer der „Aggressor“ ist – Russland, das in ukrainisches Staatsgebiet völkerrechtswidrig einmarschiert ist? Die Kiewer Ukraine, die den Krieg, den sie seit 2014 gegen die Gebiete Donezk und Lugansk unter Bruch des zweiten Minsker Abkommens führte, jetzt eskalierte? Die NATO, die sich in der Ukraine informell bis an die Grenzen Russlands vorarbeitete? Für jede dieser Realitäten lassen sich Fakten und Argumente anführen, auf die der Tatbestand der Aggression – mit Unterschieden, versteht sich – anwendbar wäre. Zur Klärung des Konfliktes tragen diese Schuldzuweisungen nicht bei, sie sind eher ein Bestandteil des gegenwärtigen Informationskrieges.

Um uns dem Brückenbauen zu nähern, muss eine andere Frage in den Mittepunkt gerückt werden als der Streit darum, wer der „Aggressor“ war, die Frage nämlich, welche Ziele die streitenden Parteien verfolgen, anders gefragt, was, wie überbrückt werden soll – und ob es überbrückt werden kann. Noch anders formuliert, sind das Fragen nach den strategischen, also den langfristigen Zielen, von denen die …..führenden Parteien sich zurzeit leiten lassen.

Tiefer liegende Motive

Beginnen wir mit Russland, das zurzeit die Position des „Aggressors“ einnimmt. Entspricht diese Position Russlands langfristigem Interesse? Klares Nein! Russland befindet sich strategisch gesehen immer noch in der Defensive, die aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion zurückgeblieben ist. Russland hat seinen neuen Platz in der nach-sowjetischen Welt noch nicht gefunden. Russland taumelt noch in seiner Ambiguität zwischen Europa und Asien. Es hat seine Identität als dritte Macht zwischen Westen und Osten, vielleicht sogar noch genereller zu formulieren, die Identität, die über die Polarität von Westen und Osten, also USA/Europa und China hinausführt, noch nicht entwickelt. Die Verteidigung seiner Grenzen, kulturell und politisch, wird damit für Russland zu einem existenziellen Programm. Der gegenwärtige Einmarsch in die Ukraine folgt aus dieser Lage.

Betrachten wir die andere Seite, den sich gegenwärtig neu um die USA gruppierenden „Westen“. Anders als Russland, das nach dem Ende der sowjetischen Welt neue Identität aufbauen muss, stehen die USA und die um die USA versammelten westlichen Gesellschaften v o r dem Ende ihrer Hegemonie, nicht danach – kulturell wie auch politisch. Die USA rufen, gestützt auf die angelsächsischen Traditionen des Commonwealth noch einmal alle, vornehmlich europäischen Vasallen zusammen, aber nicht nur die, um den absehbaren Niedergang ihrer Hegemonie aufzuhalten. Ihr Kerninteresse dabei ist zu verhindern, dass Russland und Europa, speziell Deutschland sich als eurasische Kraft vereinen und den USA in ihrem Kampf gegen China in den Weg stellen. Die Einbindung Europas, speziell Deutschlands in ihr hegemoniales Netz ist für die USA existenziell. Deutschland wird in diesem Strom mitgerissen, und sei es um die Kosten eines auch über die Ukraine hinausgehenden …..es in Europa. Nicht von ungefähr versammeln die USA die Offensivkräfte für die Unterstützung des Ukraine…..es gegen Russland im deutschen Luftwaffenstützpunkt Ramstein.

Und schließlich die Ukraine: Sie ist seit Urgedenken Durchzugsraum der Völker zwischen Osten und Westen und Norden und Süden und Objekt der immer wieder neuen, aber nur vorübergehenden Unterordnung unter die Botmäßigkeit fremder Mächte. Aus dieser Geschichte heraus ist sie in ihrem Wesen ein anarchisches Feld ethnischer und kultureller Vielfalt. Das ist, um es deutlich und unmissverständlich zu sagen, ihr Reichtum und zugleich ihre Schwäche, ihr Reichtum, weil aus dieser Geschichte der unbändige Freiheitswille ihrer Bevölkerung hervorgeht, der sich keiner Herrschaft unterwerfen will, ihre Schwäche, weil die dort lebenden Gruppen und Völker es bisher nicht geschafft haben, eine alle verbindende dauerhafte staatliche Identität zu entwickeln. Fragwürdig ist auch, ob ihnen das in Zukunft gelingen wird – und gelingen muss, genauer, ob ihnen das in der Form des kulturell und sprachlich einheitlichen Nationalstaats gelingen muss. Ihrer Geschichte entsprechender und zukunftsweisender wäre zweifellos ein unabhängiger, neutraler Verfassungsstaat nach Art der Schweiz, in dem die Vielfalt gleichberechtigt gelebt werden kann.

Was hieße Brücken bauen?

Brücken bauen hieße unter den Bedingungen, die aus den skizzierten Zielsetzungen hervorgehen, einen sofortigen Waffenstillstand einzuleiten und Gespräche zu einer Friedenslösung aufzunehmen, deren Ziel kein anderes sein kann, als die Ukraine in einen neutralen, unabhängigen Verfassungsstaat zu überführen, in dem die unterschiedlichen Kulturen gleichberechtigt miteinander leben können. Das klingt einfach – wenn es gewollt wird.

Aber wird es gewollt? Oder ist das US-Interesse an der Verhinderung eines eurasischen Blocks, ist die Befürchtung Russlands vor einer Einschnürung ihres Landes durch die NATO, ist die Dynamik einer zwangsweisen Nationenbildung in der Ukraine unverhandelbar? Das ist selbstverständlich die entscheidende Frage. Hier hätte Europa, konkret die EU, noch konkreter Deutschland eine klare Aufgabe als deeskalierender Vermittler, nach Möglichkeit zusammen mit der Schweiz, auf die Beteiligten im Sinne einer Verhandlungslösung einzuwirken, statt den ….. durch Waffenlieferungen zu befeuern.

Denn klar gesprochen die Freiheit Deutschlands wird nicht stellvertretend von den Ukrainern erkämpft, wie es jetzt von allen Seiten tönt, so wenig wie sie zuvor am Hindukusch verteidigt wurde. Sie kann nur Ergebnis eines selbstbewussten Handelns der Deutschen selbst sein, die sich auf ihre Geschichte als Kulturnation besinnen und sich der breit propagierten „Panzerwende“ entgegenstellen.

Dieser Text ist das Ergebnis einer sehr engagierten Diskussion im „Forum integrierte Gesellschaft“ vom 1. Mai 2022

Lesen Sie begleitend auch:

„….. führen oder Brücken bauen“

https://kai-ehlers.de/2022/04/ukraine-…..-fuehren-oder-bruecke-bauen/

„Neue Sicherheitsarchitektur“ – Warum nur für Europa, warum erst jetzt, warum nicht gleich? https://kai-ehlers.de/2022/04/neue-sicherheitsarchitektur-warum-nur-fuer-europa-warum-erst-jetzt-warum-nicht-gleich/

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de




„Neue Sicherheitsarchitektur“? Warum nur für Europa? Warum erst jetzt? Warum nicht gleich?

Im ….., der gegenwärtig in der Ukraine stellvertretend zwischen dem „Westen“ und Russland geführt wird, sprechen deutsche Politiker davon, jetzt eine Sicherheitsarchitektur für Europa entwickeln zu wollen. Gut. Aber warum nur für Europa? Warum erst jetzt? Und warum nicht für den ganzen eurasischen Raum mit Wirkung auf die globale Stabilität?

Warum musste Russland nach der Auflösung der Sowjetunion in zügellosem Triumphalismus erst als „Regionalmacht“ gedemütigt werden, ohne zu bedenken, welche Gegenkräfte damit auf den Plan gerufen würden?

Warum musste die Ukraine erst durch das Chaos des Maidan, erst durch acht Jahre eines blutigen Bürgerkrieges zwischen Kiew und den abgespaltenen Provinzen Lugansk und Donezk gezogen, warum schließlich erst in das für die Ukraine desaströse Martyrium der Ausweitung dieses Bürgerkrieges zum ….. mit Russland getrieben werden, ohne den militanten Nationalismus zu bedenken, der damit provoziert würde?

Warum mussten Europa, Eurasien, die Welt erst wieder an den Rand eines globalen Krieges gebracht werden, statt das Ende des „Kalten Krieges“ dafür zu nutzen, eine neue Ordnung im friedlichen Zusammenwirken eurasischer Staaten zu sichern, die auch das globale Zusammenleben stabilisiert?

Lehren der Kriegsgeschichte…

Ein Blick in die klassischen Kriegstheorien von Carl von Clausewitz im 19. Jahrhundert bis zurück zu denen des Chinesen Sun Tsu aus dem fünften Jahrhundert vor Christi Geburt, hätte schon ausreichen können zu erkennen, dass ein unterlegener und geschwächter Gegner, wie es Russland als Kern der Sowjetunion nach dem Ende des „Kalten Krieges“ war, nicht noch weiter geschwächt und gedemütigt werden dürfe, ohne dass damit Kräfte der Revanche herausgefordert würden.

„Je kleiner das Opfer ist, welches wir von unserem Gegner fordern“, schrieb Clausewitz unter dem Stichwort vom „Zweck des Krieges“ in seinem Buch „Vom Kriege“, „umso geringer dürfen wir erwarten, dass seine Anstrengungen sein werden, es uns zu versagen.“

Und wie er den Krieg als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln definierte, so sah Clausewitz die Politik nach einem Sieg als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Daher sei es wichtig so bald wie möglich vom Kriegszustand in den Frieden überzugehen.

Ähnlich sah es Sun Tsu in seinen Traktaten „Über die Kriegskunst“: „In der wahrhaftigen Kunst des Krieges ist es von jeher die beste Lösung, das Land des Feindes heil und unversehrt zu erobern; nicht gut ist es, es zu zerschmettern und zu zerstören.“

Pointiert zusammengefasst lauten diese klassischen Lehren zum Kriege: Ziel des Krieges ist der Frieden, nicht der Krieg.

…sind heute vergessen

Aber diese Lehren einer mehrtausend Jahre umfassenden Kriegsgeschichte scheinen heute nicht mehr zu gelten. Das lässt die jüngere Geschichte deutlich erkennen: Eine Fortsetzung des Ersten Weltkrieges durch den daraus hervorgehenden zweiten hätte es ohne die Erniedrigung Deutschlands durch die Versailler Nachkriegsregelungen nicht zwangsläufig geben müssen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg widerstanden die Sieger ihrem Impuls, den Verlierer Deutschland in ein Ackerland zu verwandeln, wie er sich im Morgenthauplan niederschlug, nur deshalb, weil Deutschland für die Sieger als Bollwerk zum Zurückdrängen der Sowjetunion gebraucht und dementsprechend aufgebaut wurde.

Heute nehmen die Sieger des „Kalten Krieges“, allen voran die USA selbst solche eigennützigen Rücksicht nicht mehr. Der auf Russland reduzierte sowjetische Gegner wurde und wird für sie als Bündnispartner gegen niemanden gebraucht; im Gegenteil, Russland ist den USA, die nach Selbstdefinition aus der Auflösung des Warschauer Paktes als die „einzige Weltmacht“ hervorgingen, beim Aufmarsch gegen China im Weg und aus ihrer Sicht bestenfalls als ausbeutbare Rohstoffbasis interessant.

Zugleich zahlt sich die Schonung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg und seine Einbeziehung in den herrschenden atlantischen Block bei dem Versuch, Russland auf die Rolle einer Kolonie zu reduzieren, heute politisch mit Zins und Zinseszinsen als Nibelungentreue Deutschlands gegenüber den USA in ihrem Kreuzzug gegen Russland aus.

Fortsetzung des ‚kalten Krieges‘ mit anderen Mitteln

Dieser Kreuzzug, einer ‚feindlichen Übernahme‘ eines Monopols durch ein anderes vergleichbar, setzte schon gegen Michail Gorbatschow ein, dessen naiver Entspannungswille missbraucht wurde, um die Sowjetunion aus Deutschland und Osteuropa hinauszudrängen, erschlichen durch die Zusage, die NATO nach der Auflösung des Warschauer Paktes nicht über die Grenzen der DDR hinaus nach Osten auszudehnen.

Es folgte die Unterstützung Boris Jelzins gegen Gorbatschows Versuche, den Sozialismus zu reformieren. Mit Jelzin, der die Sieger direkt zur Privatisierung des Landes einlud, war die Einvernahme Russlands leichter zu haben als mit Gorbatschow. Das Ganze war eine Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln. Erst Wladimir Putin trat ihr entgegen, als er die Kommandobrücke in Moskau mit der Ansage betrat, Russland wieder stark machen, das hieß, das Land innenpolitisch stabilisieren und außenpolitisch wieder zum Integrationsknoten Eurasiens machen zu wollen.

Konsequent bestand Putins erste Amtshandlung darin, Russland aus der Schuldenfalle des Siegers zu lösen, indem er weitere Kreditierungen durch den IWF kündigte. Ergänzend dazu veranlasste er die Begleichung der sowjetischen Altschulden an die Weltbank – gegen deren erklärten Willen. Damit setzte Putin der Kolonisierung Russlands, wie sie unter Jelzin begonnen hatte, ein klares ‚So nicht weiter‘ entgegen. ‚Russland auf dem Weg zu sich selbst‘, lautete das Leitmotiv, unter dem Putin die Bevölkerung sammeln konnte.

Parallel zu diesen innenpolitischen Maßnahmen trat Putin im Deutschen Bundestag auf, wo er den Vorschlag vorbrachte, die mit dem Ende der Sowjetunion aufgebrochene Sicherheitsarchitektur, die in gegenseitiger Bedrohung durch NATO und Warschauer Pakt bestanden hatte, durch eine kooperative, das ganze Eurasien umfassende neue Sicherheitsvereinbarungen zu ersetzen.

Dämonisierung statt Kooperation

Der Vorschlag wurde von den Abgeordneten des Bundestages, zwar woran man nicht oft genug erinnern kann, in stehenden Ovationen beklatscht – aber nicht umgesetzt. Putins Angebot passte nicht zu den Interessen der „einzigen Weltmacht“, wie sie am klarsten in den Schriften von Zbigniew Brzezinski formuliert wurde. Er konnte sich zwar ein dreifach geteiltes Russland gut als ein östliches, westliches und mittleres Gebiet vorstellen – aber ohne Putin, das heißt, Russland als ein politisch amputiertes, willenloses Objekt kolonialer Ausbeutung. Ein Putin, der sich dagegen stemmt, noch dazu in möglichem Bündnis mit den Deutschen, war in dieser Vision nicht vorgesehen.

Zu erinnern ist hier auch an die Ausführungen der Friedmans und Co, die sich nicht scheuten öffentlich zu erklären, dass die USA nichts so sehr fürchten wie ein Zusammenwachsen von Deutschland und Russland, Know how und Ressourcen. In der Tat, muss man dazu sagen: ein Zusammenrücken von Moskau und Berlin könnte eine eurasische Ellipse entstehen lassen, welche die Hegemonie der USA in Frage stellt. Dies zu verhindern hat für die USA existenzielle Dimensionen.

Auf der Linie dieser Strategie wurde das neue, nachsowjetische Russland, wie oft in letzter Zeit beschrieben, Schritt für Schritt durch NATO- und EU-Erweiterung sowie durch bunte Revolutionen eingekreist und eine massive ideologische Aufrüstung gegen Putin als neuer Stalin, wahlweise Hitler in Gang gesetzt, der das russische Imperium mit Gewalt restaurieren wolle.

Jahr für Jahr wiederholte Angebote, ja Mahnungen von Seiten Russlands zur Einrichtung einer neuen Friedensordnung prallten an dieser Strategie ab. Im Ergebnis sah sich Russland in wachsendem Maße bis dicht vor seine Grenzen vom Westen eingeschnürt. Der jetzige Krieg ist Ergebnis dieser Entwicklung.

Schaut man so in die Geschichte, insbesondere in die Jahre nach dem Ende der Sowjetunion zurück, dann wird deutlich, dass der jetzt in der Ukraine geführte Stellvertreterkrieg die Zuspitzung einer Politik ist, die kein Ende des Krieges nach dem Sieg mehr kennt. Jetzt ist nicht mehr nur von Sieg die Rede, jetzt ist die „Zerstörung“ Russlands das erklärte Ziel der sich herausbildenden westlichen Allianz unter amerikanischer Führung. Der Krieg ist nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, Politik nicht mehr die Fortsetzung des Krieges durch diplomatische Mittel, sondern Krieg und Frieden sind dabei in eine Dauerverbindung miteinander überzugehen, deren Ergebnis, wenn nicht ein Wunder geschieht, nicht eine neue Friedens-, sondern eine dauerhafte Kriegsordnung ist, in der sich Informations-, Sanktions- und wuchernde Stellvertreterkriege miteinander verbinden.

Und doch…

Noch jetzt wäre ein Waffenstillstand sofort möglich, in dem beide Kriegsparteien ihr Gesicht wahren könnten, wenn die Ukraine sich entsprechend ihrer geschichtlichen und geographischen Natur als Durchgangsland zwischen Ost und West, Norden und Süden zum neutralen Raum zwischen Russland und Europa erklärte. Möglich wären Vereinbarungen über eine lokale und mit diesem Schritt einhergehende eurasische Friedensordnung, wenn die USA und die europäische „Elite“ sie wollten, wenn die europäischen „Eliten“ sich von den USA unabhängig machen würden, wenn nicht das Trugbild einer Ukraine aufrechterhalten würde, die für „unsere“ Demokratie kämpfe und hinter deren Grenzen sich die „Barbarei“ öffne.

Was folgt aus all dem für Deutschland? Einfach gesagt, Deutschland wäre auf Grund seiner eigenen Geschichte, sich zweimal als Kriegsverlierer regenerieren zu müssen, sowie seiner aktuellen Stellung in der Europäischen Union die Kraft Europas, welche die Forderung nach sofortigem Waffenstillstand und nach einem Übergang in eine neue Friedensordnung jetzt und hier am glaubhaftesten vorbringen könnte. Dies gilt umso mehr, nachdem die Schweiz die Rolle des neutralen Vermittlers ohne Not abgegeben hat; es gilt aber auch nur dann, wenn Deutschlands politische Vertreter sich aus dem blinden Vasallentum gegenüber den amerikanischen Interessen lösen. Nur „Zögern“ allerdings aber zugleich Waffen an die Ukraine liefern reicht dafür nicht. Es bedarf des klaren Auftretens für eine politische Deeskalation, statt der weiteren Befeuerung und tendenziellen Ausweitung des ….. über die Grenzen der Ukraine hinaus.

Gebraucht wird Deutschland als Vermittler, der den sofortigen Waffenstillstand und die Aufnahme von Verhandlungen zwischen den …..sparteien aktiv fördert, statt Waffen in die Ukraine zu schicken, wenn verhindert werden soll, dass die Menschen in der Ukraine, Ukrainer wie auch Russen, weiterhin als Kanonenfutter für den Stellvertreterkrieg, den die „einzige Weltmacht“ in der Ukraine gegen Russland führen lässt, benutzt und verbraucht werden und wenn Deutschland seine eigene Zukunft mit Russland retten will. Denn – um es in einem Bild zu sagen – Deutschland ohne Russland, das ist wie ein Ei ohne Schale, so wie umgekehrt Russland ohne Deutschland eine Schale ohne Ei ist. Zusammen, aktiv verbunden durch eine neutrale Ukraine, können sie eine Kraft bilden, die in die Zukunft weist, getrennt durch einen Dauerkrieg um die Ukraine sind sie nicht lebensfähig – nicht Deutschland, nicht Russland und auch nicht die Ukraine. Erst recht entsteht so keine neue globale Sicherheitsarchitektur.

Kai Ehlers

www.kai-ehlers.de




Ukraine: ….. führen oder Brücke bauen? Frieden schaffen statt „Selbstkritik“ à la Walter Steinmeier üben

[von Kai Ehlers] Der ….. in der Ukraine erschüttert die Welt gegenwärtig mehr als andere gleichzeitig stattfindende …… Warum? Weil er mitten in Europa stattfindet? Weil er wie aus heiterem Himmel fällt? Weil Waldimir Putin den Frieden, den der Westen für die Welt sichern will, mit Füßen tritt?

Die Empörung über den völkerrechtswidrigen russischen ….. in die Ukraine schlägt höchste Wellen. In Zukunft heißt es, könne Frieden und Sicherheit nicht mehr mit nur noch gegen Russland gesichert werden. Ein gigantischer Sanktionsfeldzug gegen Russland, eine Aufrüstungsspirale ohne Gleichen, eine schon ans Rassistische grenzende Ausgrenzung alles Russischen wurde in Gang gesetzt.  Wem nützt das?

Halten wir doch für einen Augenblick inne: War es denn wirklich so, dass der Westen, die EU, speziell auch Deutschland seit dem Ende der Sowjetunion alles dafür getan hat, mit Russland anstelle des zusammengebrochenen Systems des „Kalten Friedens“ eine neue Sicherheitsarchitektur für einen dauerhaften Frieden aufzubauen, wie von Russland immer wieder vorgeschlagen? Warum musste die Ukraine zwischen Europäischer Union und Eurasischer Union Russland zerrissen werden? Warum muss die NATO bis in die Ukraine vordringen? Warum kann die Ukraine nicht das sein, was sie aus ihrer geschichtlichen Natur als Durchzugsraum zwischen Osten und Westen, zwischen Norden und Süden sein könnte: eine Brücke, die in ihrer kulturellen, geschichtlichen und geistigen Vielfalt Russland und Europa verbindet?

Über diese Fragen könnten wir miteinander sprechen, statt uns an der Vertiefung der ohnehin schon entstandenen Gräben zu beteiligen und der Hysterie der ideologischen und materiellen Aufrüstung zu verfallen.

Steinmeiers geschichtsvergessene Selbstkritik

Zum besseren Verständnis dessen, was die Zeit von Menschen jetzt fordert, denen das Bauen von Brücken am Herzen liegt, wird es gut sein sich zu vergegenwärtigen, was der deutsche Bundespräsident Steinmeier nach den Ereignissen in Butscha, offenbar getrieben von der militanten Agitation des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk, glaubte die Öffentlichkeit wissen lassen zu müssen – selbstkritisch wie er es wohl verstanden haben möchte, nämlich: er habe sich in Putin geirrt.

Wörtlich erklärte er: „Wir sind gescheitert mit der Errichtung eines gemeinsamen europäischen Hauses, in das Russland einbezogen wird. Wir sind gescheitert mit dem Ansatz, Russland in eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur einzubinden.“ (FAZ, 5.4.2022)

Das klingt nach radikaler Selbstkritik, abgesehen davon, auf wen sich das „wir“ abstützt. Aber radikal ist an dieser „Selbstkritik“ nur die Verkehrung der tatsächlichen Entwicklung und die bigotte Selbstvergessenheit der Rolle, die Steinmeier selbst als Mitglied der deutschen Politik in dieser Entwicklung eingenommen hat.

War es denn nicht Michail Gorbatschow, der 1989 den Vorschlag des „europäischen Hauses“ machte? War es nicht Boris Jelzin, der in die NATO eintreten wollte? War es nicht Wladimir Putin, der anbot, die nach dem Ende der Sowjetunion aufgelöste Sicherheitsordnung des Kalten Krieges durch ein Sicherheitsabkommen für ganz Eurasien zu erneuern? Waren es nicht Putin und sein Interimsnachfolger Dmitri Medwedew, die seitdem immer aufs Neue den geradezu schon zum Kanon gewordenen Vorschlag einer „Sicherheitsarchitektur von Wladiwostok bis Lissabon“ an die NATO, den „Westen“ herantrugen? War es nicht Russland, das diese Vorschläge vor der jetzigen Eskalation noch einmal, zuletzt auch ultimativ vortrug? Und sind nicht all diese Bemühungen, die von russischer Seite kamen, schlicht gekontert worden durch die NATO-Erweiterungen, durch die EU-Erweiterungen bis an die Grenzen Russlands, durch die Unterstützung bunter Revolutionen bis hin zur Förderung der putschartigen Übernahme der Ukraine durch die Maidan-Rechte 2014 und die sich daran anschließende Blockierung einer Umsetzung der Minsker Beschlüsse seitens der von der deutschen Bundesregierung, der NATO und den USA geförderten Kiewer Regierung? Da hätte niemand „eingebunden“ werden müssen, man hätte nur bereit sein müssen die Vorschläge aufzugreifen und die neue Ordnung, welche die Sicherheitsbedürfnisse Russlands und der EU berücksichtigt, auf Augenhöhe miteinander auszuhandeln.

Aber nun ist aus dem ukrainischen Bürgerkrieg, der seit dem Maidan 2014 als „antiterroristische Aktion“ von Kiew her gegen den Osten des Landes geführt wird, ein veritabler ….. geworden, der die Neuordnung Europas, darüber hinaus Eurasiens als Ganzem und weltweit zu chaotisieren droht.

Halten Sie ein! kann man da nur dem zur Selbstkritik bereiten deutschen Präsidenten und der gegenwärtigen deutschen Regierung zurufen! Schön, wenn sie, Herr Steinmeier, an so prominenten Platz wie den eines Bundespräsidenten gestellt, Ihren Irrtum erkennen und ihn auch noch öffentlich bekennen! Der Irrtum bestand allerdings nicht darin, Russland nicht in „unsere“ Sicherheitsarchitektur „eingebunden“ zu haben. Er bestand vielmehr darin, die Vorschläge und Bemühungen um eine gemeinsame eurasische Sicherheitsarchitektur, wie sie von Russland vorgeschlagen wurden, penetrant beiseitegeschoben und mit hemmungsloser Erweiterungspolitik beantwortet zu haben, statt sie als Einladung zu Erarbeitung einer neuen Friedensordnung Eurasiens anzunehmen, die in der Lage gewesen wäre, die zerfallene Ordnung des Kalten Krieges zu ersetzen.

Kai Ehlers

www.kai-ehlers.de




Wann begann der ukrainische …..?

[von Kai Ehlers] Begann er der ….. am 24. Februar 2022, als russische Truppen die Grenze zur Ukraine überschritten? Begann er am dreiundzwanzigsten, als der ukrainische Präsident Selenski in Erwartung des russischen Einmarsches mobilisierte? Am zweiundzwanzigsten, als Russland die beiden Republiken Donezk und Lugans anerkannte und sich zu deren Verteidigung verpflichtete? In den Monaten zuvor, als USA, NATO und EU das Verlangen Russlands, eine Sicherheitszone zwischen NATO/EU und Russland einzurichten, ins Leere laufen ließen?

Oder begann er schon mit dem Vorrücken von NATO und EU bis vor die Grenzen Russlands in den Jahren zuvor und durch die gleichzeitige Intensivierung des bürgerkriegsähnlichen Grenzkrieges, mit dem Kiew seit dem Maidan 2014 die Gebiete Donezk und Lugansk zur Aufgabe ihrer Selbstständigkeit zu zwingen versuchte?

Antworten auf diese Fragen sind notgedrungen parteiisch. Im ….., zumal in den gegenwärtigen Informationskriegen, stirbt bekanntlich als Erstes die Wahrheit, sofern man überhaupt von e i n e r Wahrheit sprechen will. Wer seinen Verstand bewahren will, muss, wenn die Umstände es erlauben, über das aktuelle Geschehen hinausschauen, in dem die Bomben bereits niedergehen. Nicht immer ist am Geräusch zu erkennen, woher sie kommen. Das gilt nicht zuletzt für die Bomben, die gegenwärtig in ukrainischen Wohngebieten niedergehen.

Der nachfolgende Text, veröffentlicht auf meiner Plattform im November 2014, mag dazu beitragen, sich in dem Dschungel der gegenwärtigen Deutungen etwas besser zurechtzufinden. Er folgt hier anschließend unter der Überschrift, die er seinerzeit hatte und beginnt mit der Frage, wann die ukrainische Krise begann. Die Frage unterscheidet sich nur in einem von der, wann die ukrainische Krise begann, die in der Einleitung zu diesem Text aktuell gestellt ist, nämlich darin: Inzwischen ist aus der bloßen innerukrainischen Krise entgegen der seinerzeit noch möglichen Hoffnungen ein veritabler ….. geworden, in dem die Weltmächte aufeinanderprallen – Ausgang offen.

Den Text lasse ich trotzdem unverändert. Nicht zuletzt deshalb, weil er am Schluss zu der unbequemen Frage führt, ob sich Russland, konkret Wladimir Putin – so wie seinerzeit die Sowjetunion in die Afghanistanfalle – jetzt in eine ähnliche Falle in der Ukraine hat treiben lassen. Dieser Frage wird er sich stellen müssen.

Ukrainisches Kaleidoskop –

Krise globaler Interventionsstrategien

Wann begann die ukrainische Krise? Im November 2014, als Viktor Janukowytsch das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht unterzeichnete? Am 21./22. Mai als Janukowytsch stürzte und eine auf die Maidan-Rechte gestützte provisorische Regierung die Macht übernahm? Am 1.3.2014, als Putin sich vom russischen Föderationsrat die Ermächtigung zur Intervention in die Krim geben ließ? Am 17.03.2014 als Russland das Referendum der Krim-Bevölkerung zum Beitritt des Krim anerkannte und der Westen mit Nicht-Anerkennung und Sanktionen gegenüber Russland reagierte?  Oder doch erst als Präsident Poroschenko mit seiner Offensive gegen den „Terror“ den Bürgerkrieg gegen die Autonomiebewegungen in den östlichen und südlichen Teilen des Landes eröffnete?

Wann wird die Krise beendet sein? Wenn die letzten Spuren des Maidan in Kiew abgeräumt sind? Wenn die Aufständischen im Süd-Osten des Landes niedergeschlagen sind? Wenn die nächsten Parlamentswahlen in der Ukraine durchgeführt sind?

Nichts dergleichen. Dies alles, und noch andere mögliche Daten sind nur Stationen in einem Prozess, der weit vor dem November 2014 begann – und noch weit über eine mögliche Niederschlagung der Aufständischen im Süden und Osten der Ukraine hinausreicht. Mit anderen Worten, die ukrainische Krise hat erst begonnen.

In dieser Krise laufen die drei wichtigsten heutigen Ströme der globalen Transformation auf einem Feld zusammen, auf dem die gegenwärtigen Konflikte stellvertretend ausgetragen werden.  Die Krise der Ukraine ist keine lokale, sie ist eine Lokalisierung der globalen Auseinandersetzung um eine neue Weltordnung und neue Formen des Zusammenlebens.

Die drei Transformationsströme, die in der Krise zusammenwirken, sind:

  • Das nachsowjetische Trauma – das ist die Suche nach neuen Formen des Gemeinwesens, die nicht mehr (real)sozialistisch, aber auch nicht kapitalistisch sind.
  • Eine postkoloniale nachholende Nationenbildung.
  • Der Übergang von einer unipolaren Welt unter der Hegemonie einer einzigen Weltmacht in eine multipolare Welt miteinander kooperierender Mächte.

Zum Stichwort des nachsowjetischen Traumas

Aus dem Nachlass der Sowjetunion ging die Ukraine 1991 nicht anders als alle anderen Bestandteile der früheren Union als atomisierte Staats- und Sozialstruktur hervor – paradoxer Weise in der Form einer zentralistischen nationalstaatlichen Demokratie.

Zugleich verlor sie ihre Position als eine Säule des sowjetischen Imperiums und damit ihre definierte Rolle im Weltgeschehen. Der Verzicht auf die Übernahme der Atomwaffen aus dem sowjetischen Bestand im Oktober 1991 machte dies deutlich.

Hier darf – gleich zu Anfang – ein Hinweis auf die besondere Geschichte der Ukraine nicht fehlen, die über die Jahrhunderte ihrer Existenz immer Durchgangsraum zwischen Osten und Westen und Streitobjekt zwischen Norden und Süden war, angefangen bei den Hunnen im fünften, über die Mongolen im dreizehnten Jahrhundert. Danach kamen, um nur die wichtigsten zu nennen, die wechselnden Besetzungen durch Habsburg aus dem Süden, durch die Polen aus dem Norden, die Deutschen aus dem Westen und schließlich die Russen aus dem Nordosten.  Ergebnis dieser Geschichte ist ein Land, das sich mosaikartig, einem ständig wechselnden Kaleidoskop vergleichbar, aus den verschiedensten historischen, ethnischen, religiösen, politischen und ökonomischen und nicht  zuletzt sprachlichen Entitäten zusammensetzt. Vielfalt pur! Zersplitterung pur!

Die Atomisierung der ukrainischen Gesellschaft nach dem Ende der Sowjetunion geschah auf dem Boden dieser anarchischen Diversität. Ergebnis war die extreme Parzellierung des Landes unter der Willkür von Oligarchen, die die Reichtümer des Landes, unter der Decke einer formal-demokratischen Ordnung, unter sich aufteilten – keineswegs immer friedlich und bei gleichzeitiger Anarchisierung der Gesellschaft. Die hieraus entstehenden Verhältnisse sind mit  ‚Korruption‘ nicht ausreichend beschrieben; das war nackte Willkür von Geld und Macht, der sich zu beugen hatte, wer überleben wollte.

Die Mehrheit der Menschen in der Ukraine wurde auf ein Leben auf dem unteren Existenzminimum gedrückt, viele noch darunter. Unterschiedliche Zukunftsperspektiven entwickelten sich. Ausweg war für viele die Migration nach Russland, wo heute ca. 6 Millionen ukrainische Staatsbürger/innen als Gastarbeiter überleben. Andere suchten ihren Ausweg im Zugang nach Europa. Das blieb allerdings ein Traum, solange die Europäische Union die Ukraine weder als Mitglied aufnehmen wollte, noch visafreien Zugang gewährte und solange auch unter den ukrainischen Oligarchen die Westöffnung umstritten war. So endete die nach Westen orientierte „orangene Revolution“ von 2004 mit einem Rückzug der Ukraine auf die Schaukelposition zwischen Russland, stellvertretend für die Eurasische Union und der Europäischen Union, wie Janukowytsch sie bis zum Ende vor den Maidan-Protesten im November 2013 vertrat.

Im Kiewer „Euro-Maidan“ in Kiew und im Anschluss daran im „Anti-Maidan“ im Osten und Süden des Landes kam diese Suche nach zukünftigen Lebensmöglichkeiten im November 2013 zum vollen Ausbruch. Auch wenn Menschen, die unmittelbar an den Protesten beteiligt waren, die also beschwören aus erster Hand Bescheid zu wissen, davon sprechen, dass den Protestierenden des Maidan, ebenso wie denen des Anti-Maidan Geld für ihre Teilnahme gegeben wurde, auch wenn sich Frau Nuland rühmte, die USA hätten seit 2004 fünf Milliarden Dollar in die Demokratisierung der ukrainischen Gesellschaft investiert, bleibt doch festzuhalten, dass der tragende Impuls des Maidan sowie des Anti-Maidan die existenzielle Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Oligarchat war und ist.

Diese Tatsache bliebe für den „Euro-Maidan“ selbst dann noch wahr, wenn sich beweisen ließe, dass auch Teile der Oligarchen die Proteste finanziell unterstützt hätten, mit dem Ziel Janukowytsch zu stürzen. Für den „Anti-Maidan“ gilt selbstverständlich das Gleiche – nur dass die Finanziers nicht auf amerikanischer Seite oder auf der Seite  der Europäischen Union und nicht auf Seiten pro-westlicher Oligarchen, sondern bei den Industriebossen des Südens und Ostens und vielleicht auch in abgedeckten russischen Kassen zu suchen wären, die es zweifellos auch heute noch gibt.

Der Grundimpuls des Maidan bleibt auch dann wahr, wenn die anfänglichen Proteste gegen Korruption und Willkür und für eine Öffnung nach „Europa“ im Zuge der Radikalisierung des Maidan durch die nationalistische Rechte usurpiert und der Anti-Maidan durch russische Nationalisten radikalisiert wurde. Es ist sogar zu erwarten, dass nach Abschluss des Assoziierungsabkommens durch den seit Mai 2014 amtierenden Präsidenten Poroschenko die sozialen Motive der Proteste wieder mehr in den Vordergrund rücken werden. Spätestens mit Eintreten des Winters ist durch die in Erfüllung des Vertrages zu erwartenden Preissteigerungen bei Gas, Wasser, Mietern usw. mit rapider Verschlechterung der sozialen Versorgung der Bevölkerung und von daher mit erneuten, diesmal eher von Existenzfragen ausgehenden Protesten zu rechnen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu bemerken, dass am Ende der Proteste eine Situation entstanden ist, in der sich die ukrainischen Oligarchen schamlos der seit 1991 getragenen demokratischen Maske entledigen und aus dem Hintergrund, aus dem heraus sie bisher ihre Macht ausgeübt haben, nun unmittelbar zur Herrschaft in eigener Person übergehen. Nicht nur ist Oligarch Poroschenko als Präsident eingezogen, der eine Zentralisierung des Landes mit Unterstützung faschistischer Kräfte gewaltsam durchsetzen will. Auch die regionalen Oligarchen sind als Regionalfürsten unmittelbar in Regierungsposten eingerückt, von wo aus sie ihre eigenen Truppen kommandieren.

Dies alles geschieht mit Unterstützung westlicher Regierungen, die ihrerseits ein offenbares Interesse daran haben, den prinzipiellen anti-oligarchischen Grundimpuls der Maidan-Proteste, insonderheit die noch stärker in diese Richtung entwickelten Anti-Maidan-Impulse, insofern sie auch dem neo-liberalen kapitalistischen Globalismus gefährlich werden könnten, mit Gewalt zu unterbinden, zumindest sie ins nationalistische Fahrwasser abzulenken und unter Druck zu halten.

Die Ukraine zeigt:  die Zeiten, in denen sich das globale Kapital – mit geringen Unterschieden zwischen USA, EU und anderen – zur Durchsetzung seiner Austeritätspolitik einer demokratischen Maske bediente, sind offenbar vorbei. Sei es aus Stärke – sei es aus Schwäche; das Pendel zur Beantwortung dieser Frage steht auf Mitte. Die Ukraine zeigt deshalb auch: Die Tage, in denen es keinen Widerstand gegen die weltweite neo-liberale Expansion gibt, scheinen ebenfalls gezählt. Forderungen nach einem Recht auf soziale Grundversorgung, nach lokaler, bzw. regionaler Selbstverwaltung, nach föderaler Kooperation statt ineffektiver nationaler Zentralstaatsdiktatur zum Nutzen internationalen Kapitals stehen heute teils wieder, teils erstmals in dieser Form auf der Tagesordnung – nicht nur in der Ukraine.

Krim, Novorossia, Abchasien, Ossetien, Transnistrien im ehemaligen sowjetischen Raum, aber auch Katalonien, Schottland, Forderungen nach föderativer Regionalisierung der Europäischen Union, statt deren weiterer exekutiver Zentralisierung sind aktuelle politische Ausdrücke dieser Entwicklung in Richtung autonomer Selbstbestimmung. Das Völkerrecht, das seit dem ersten Weltkrieg in der Polarität zwischen dem Gewaltmonopol des Staates und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker mal so, mal so benutzt wird, je nachdem wie es den vorliegenden Interessen passt, wird dieser Entwicklung durch Aufnahme eines dritten Elementes Rechnung tragen müssen, das sich inzwischen herausgebildet hat – das Menschenrecht, das als drittes Kriterium die Entscheidung des Einzelnen berücksichtigt, unter welchen Umständen er/sie leben will.

Stichwort: nachholende Nationenbildung

In einer Zeit, in der die Mehrheit der ehemals kolonisierten Völker auf dem Weg der antikolonialen Befreiungskämpfe längst in den Status unabhängiger Nationen  übergegangen sind, die einen unabhängiger als die anderen, tritt die Bevölkerung der Ukraine mit einer Verspätung von ca. 100 Jahren erst heute, erst mit ihrer Unabhängigkeitserklärung von 1991  in einen solchen Prozess der nationalen Identitätsfindung ein – wenn man von der Zeit des ersten Weltkriegs als Beginn des Lösungsprozesses der Kolonien von Europa ausgeht.

In gewissem Maße hat die Ukraine auch diese Situation gemeinsam mit all jenen Republiken der früheren Sowjetunion, die sich nach deren Implosion für unabhängig erklärten – mit dem schon genannten kleinen, die Situation heute ins Exemplarische und Stellvertretende verschärfenden Unterschied seiner besonderen Durchgangslage als kaleidoskopisches Mosaik zwischen Ost und West, Nord und Süd.

Mit der Erklärung der Unabhängigkeit beginnt für die Ukraine ein Prozess der Entkolonialisierung, der durch die historische Rolle  der Sowjetunion in paradoxer Weise aufgehalten und durch ihre Implosion danach beschleunigt worden ist. Als Republik der Sowjetunion war die Ukraine Teil der Sowjetunion, der die anti-kapitalistischen Befreiungskämpfe im Rahmen des sowjetischen Blocks mittrug, dabei selbst aber innere Kolonie der Sowjetunion blieb. Nach dem Zerfall der Sowjetmacht wendet sich der seinerzeit nach außen gerichtete antikoloniale Impuls nun gegen Russland als Kern der ehemaligen Sowjetunion. Ergebnis ist die untrennbare Vermischung der gegenwärtigen verspäteten Nationenbildung mit tief verankerten antirussischen Sentiments, die sich als antikoloniale verstehen, in den westlichen Teilen der Ukraine.

Dies bedarf einer genaueren Erklärung: Russischer, dann sowjetischer Kolonialismus ist historisch anders gewachsen als englischer, allgemein europäischer, später US-amerikanischer.  Die russische Expansion ist eine sammelnde, assoziative, integrierende. Russische Kolonien sind innere Kolonien im Gegensatz zu den europäisch-amerikanischen Überseekolonien; sie wurden zum effektiven Bestand des Zarenreiches, dann der Sowjetunion bis hinein in die ökonomische Arbeitsteilung. Russische imperiale Realität ist eine Vielvölkerrealität, die ganze Kulturen als eigene Organe versteht.

Daraus folgte zur Zeit der Implosion der Sowjetunion eine äußerst widersprüchliche, komplizierte Form der Ablösung, in der sich ideologische Emanzipation vom Sowjetismus, bis ins rassistische gehender Anti-Russismus mit real existierender Verbundenheit und Abhängigkeit in untrennbarer Wechselwirkung mischt.

Diese Konstellation gilt mehr oder weniger für alle ehemaligen Republiken der Sowjetunion – in bisher nicht realisiertem Maße, selbst für die inneren Republiken des heutigen Russlands an der Wolga, in Sibirien und im Kaukasus, allerdings ohne dass dort zur Zeit signifikante Austrittstendenzen sichtbar würden. Zu tief sind die Beziehungen im Lauf der Jahrhunderte miteinander verwachsen. Doch mag sich manche/r Regime-Changer trotz dieser Tatsachen auch für Russland Hoffnung machen. Für die Ukraine kommt aber auch hier die schon erwähnte Besonderheit hinzu – anders als im baltischen, im mitteleuropäischen oder auch im zentralasiatischen Raum – dass die Ukraine Zeit ihres Bestehens ein extremes Durchgangsland war, immer unter der Herrschaft von irgendwem oder auch mehreren zugleich. Immer wieder zwischendurch von dieser oder jener Gruppe unternommene Versuche, eine nationale Identität zu erzwingen, hatten jeweils nur kurzen oder gar keinen Bestand, blieben in sich widersprüchlich in unbeständigen Koalitionen mit den jeweiligen Besetzern, bzw. vorübergehenden Herren des Landes, zuletzt in einer solchen Zwitterstellung gegenüber Russland, der Sowjetunion. Die ukrainische Geschichte ist die Geschichte der immer wiederholten wechselnden Unterordnung unter fremde Mächte – von Teilen oder auch des ganzen Landes, eine anarchische Fragmentierung als Grundbestand.

Aus dem Zusammenwirken von aufgestautem antirussisch gefärbtem  Anti-Kolonialismus und effektiver Zerrissenheit des Landes baut sich heute die Mentalität und die Bewegung der nachholenden Nationalisierung, die Parole „Ukraine für die Ukrainer“ auf, die umso extremer hervorbricht, je klarer sich Teile des Landes gegen solche unifizierenden, noch dazu gewaltsam auftretenden Tendenzen wehren. Noch härter wird die Konfrontation, wenn Teile – wie die Krim, wie die südlichen und östlichen Teile des Landes ihre Bindungen an den sowjetischen, bzw. jetzt russischen Raum nicht nur nicht aufgeben, sondern wiederherstellen wollen. Dabei sind die separatistischen Kräfte im Süden und Osten keineswegs alle darauf aus, den ukrainischen Zusammenhang zu verlassen; sie wollen sich nur ihre Beziehungen zu Russland nicht nehmen lassen und autonom über deren Intensität und Nutzen im Rahmen einer föderalen Gesamtstruktur bestimmen.  Extremere Positionen fordern die Absonderung der ausgerufenen „Volksrepubliken“ von der Ukraine oder auch ihre Ausgründung als wieder ins Leben gerufenes historisches „Novorossia“. Ganz extreme Stimmen fordern einen Anschluss an Russland. Die Vorstellungen zur endgültigen Perspektive sind keineswegs einheitlich. Kern ist allein die Forderung nach Autonomie. Wenn diese Forderung von Kiew akzeptiert würde, könnte ein Gespräch über deren konkrete Ausformung beginnen.

Ähnlich widersprüchlich sind im Übrigen die Positionen der Nationalisten, die den „Euromaidan“ usurpiert hatten und die ihn noch immer dominieren. Obwohl sie vornehmlich aus dem Westen kommen und obwohl sie lautstark die Euro-Propaganda des Maidan propagierten, wollen sie keineswegs nach Europa. Europa gilt ihnen als „schlapp“, dekadent, den europäischen Liberalismus, der Homosexualität toleriert, betrachten sie als Krankheit. Im Kern haben sie den „Euro-Maidan“ nur genutzt, um ihrer nationalistischen Vision von einer „Ukraine für die Ukrainer“ die Massen zuzuführen.

Aus dieser Konstellation folgt ein Konflikt, der bei rationaler Betrachtung nur über eine Tolerierung lokaler und regionaler Autonomie in föderaler Kooperation lösbar ist. Es sieht aber so aus, als ob gerade dies den Interessen der herrschenden Oligarchen, die Poroschenko heute als Präsident vertritt, insbesondere aber den hinter ihm stehenden Interessen des internationalen Kapitals, vertreten durch die Regierungen von USA und EU, extrem zuwiderläuft, das über die Ausweitung der Europäischen Freihandelszone hinaus auch noch das Projekt der „Transatlantischen Handels und Investitions Partnerschaft“ (Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) verfolgt. Was das Europäische, aber auch das US-Kapital für sich anstrebt, sind offene Märkte, die der Realisierung ihres Kapitals keinen – kleinräumigen – Widerstand selbstbestimmter Regionen können entgegensetzen können.

Oligarch Poroschenko ist derjenige, der diese Interessen mit Hilfe nationalistischer und offen faschistischer Kräfte gegen die Aufständischen im Süden und Osten durchzusetzen versucht. Das kann, wenn überhaupt, nur mit militärischer Gewalt gelingen.

Dabei ist anzumerken, dass Poroschenko zwar als Kriegsherr gegen die zu „Terroristen“ erklärten Separatisten auftritt, tatsächlich aber die eigenen Truppen nicht effektiv unter seinem Kommando hat. Die Einsatzkräfte Kiews zerfallen in mindestens fünf voneinander unabhängige Kategorien, die sich nach unterschiedlichen Graden der Radikalität und Brutalität unterscheiden. Es sind das: das professionelle Kader der Armee, die Wehrpflichtigen, die Nationalgarde, die paramilitärischen Truppen des Rechtsaußen Jarosch und schließlich noch die von Oligarchen vor Ort privat finanzierten Banden. Von diesen fünf hört bestenfalls der professionelle Kader auf Poroschenko. Die Armee der Wehrpflichtigen ist marode. Die Nationalgarde ist aus übriggeblieben Maidan-Aktivisten und Abenteurern zusammengestoppelt. Ganz außerhalb des staatlichen Gewaltmonopols agieren die Truppen von Jarosch und die Privatbanden der Oligarchen.

Wie auch immer brutal jedoch der Vernichtungskrieg gegen die Aufständischen geführt wird – politisch ist der Impuls der regionalen Selbstbestimmung im föderalen Zusammenhang, vermutlich sogar der einer vollkommenen Ausgliederung der als „Novorossia“ auftretenden Gebiete nach den vernichtenden Angriffen aus Kiew wohl nicht mehr zu unterbinden.  Die Bevölkerung der von den rechten Banden überfallenen, von Poroschenkos Truppen bombardierten Städte und Gebiete, soweit sie nicht schon als Flüchtlinge das Land verlassen hat, ist nach allem, was man von Betroffenen auf der Krim, in Russland, selbst in der Zentralen und westlichen Ukraine hört, wohin sie vor dem Bürgerkriegsterror geflüchtet sind, nicht bereit, manche ökonomisch nicht einmal mehr in der Lage  in eine einheitliche Ukraine zurückzukehren. Mit jedem Tag, den Poroschenko seinen Vernichtungsfeldzug fortsetzt, weiterhin gedeckt durch westliche Politik, die bestenfalls, wie die deutsche Bundeskanzlerin, zur Verhältnismäßigkeit bei der Vernichtungsaktion, nicht etwa zu dessen Einstellung auffordert, wird eine Rückkehr dieser Menschen in eine einheitliche Ukraine unwahrscheinlicher. Statt das Land zu festigen fördert sein gewaltsamer Zentralisierungsversuch dessen weiteren Zerfall.

Übergang von einer unipolaren zu einer multipolaren Welt.

Die Ukraine steht schon  lange  im Fadenkreuz der US-uns NATO-Strategen, besonders auf dem geopolitischen Schachbrett des bekannten Fädenziehers Sbigniew Brzezinski. Er betrachtet die Ukraine als die Figur, die gebraucht wird, um das ganze Feld zu beherrschen. Genauer betrachtet, geht es inzwischen allerdings nicht mehr allein darum zu beherrschen, sondern die Herrschaft zu erhalten, die den USA und in ihrem Schatten der Europäischen Union nach dem Ende der Sowjetunion in den 80ern und 90ern des letzten Jahrhunderts zugefallen war.

Seine Ausgangsposition formulierte Brzezinski 1991 in seinem Buch „The Grand Chessboard“, im deutschen Titel treffend „Die einzige Weltmacht“[i] in unverhüllter Offenheit. Bei ihm erschien die Ukraine nicht nur als „Filetstück“ auf dem globalen Tablett der Ressourcen, sondern darüber hinaus als strategische Figur des globalen Spiels  um die Neuordnung der Welt nach dem Ende der Kalten Krieges. Mit Rückgriff auf die geopolitischen Strategien aus der Hochzeit des englischen Imperialismus, wie sie seinerzeit Harold Mackinder in der Auseinandersetzung mit dem damaligen Russland ausarbeitete, formulierte er Anfang der 90er als Leitlinie der US-Geopolitik: Wer die Welt beherrschen wolle, müsse Eurasien beherrschen. Das hätten alle großen Reichsgründer der Geschichte gewusst von den Mongolen bis hin zu Hitler. Mit dem Niedergang der UdSSR sei diese Aufgabe nunmehr den USA zugefallen. Um Eurasien zu beherrschen, müsse man Russland beherrschen und um Russland beherrschen zu können, müsse man die Ukraine aus dessen Einflussbereich herausbrechen. „Die Ukraine“, schrieb er, „ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“[ii]

Rund zehn Jahre später beklagt Brzezinski den schlechten Umgang der drei US-Präsidenten Henry. W. Busch (bei Brzezinski: Bush I), Bill Clinton, George W. Busch (bei Brzezinski:  Bush II) mit dem ihnen zugefallenen Erbe. Bush I wird als phantasieloser Verwalter kritisiert, der nichts aus dem Erbe gemacht habe. Clinton erhält den Stempel des ideologischen Traumtänzers, der die US-Möglichkeiten überschätzt, zu viel versprochen und nichts erreicht habe. Bush II muss sich die globale Diskreditierung des US-Ansehens und realen Machtverlust der US-Politik vorrechnen lassen.

Unter dem Titel „The second chance“ fordert Brzezinski die politische Klasse der USA auf, sich auf ihre Führungsaufgaben zu besinnen. Noch sei es Zeit, wenn eine Rundum-Erneuerung der Innen- und der Außenpolitik vorgenommen werde. Aber wie auch zuvor, wird auch in diesem Buch wiederholt: “Für einen Kreml, der unter Statusverlust leidet, war die härteste Pille , die er schlucken musste, die Unabhängigkeit von Staaten, die Teil des imperialen Russland waren, lange vor der Revolution von 1997. Die amerikanische Unterstützung für die ukrainische Unabhängigkeit war besonders spürbar für Moskau, weil Russland ohne die Ukraine nicht hoffen kann sein slawisches Empire wieder zu errichten.“[iii]

Die strategische Linie ist die gleiche wie Anfang der 90er, ergänzt um den Hinweis, dass die USA die „second chance“ nur dann hätten, wenn sie die Alleingänge der Busch-Ära hinter sich ließen und wenn sie ihre Bevölkerung für die amerikanische Weltmission zu interessieren und auszubilden vermöchten. Barak Obama, schon für den bloßen Amtsantritt als Präsident mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, war Ausdruck dieser Option.

In einem dritten Buch schließlich, 2013 unter dem Titel „strategic vision“ veröffentlicht, konstatiert Brzezinski den aus seiner Sicht unabweisbaren Fakt, dass die USA inzwischen nicht mehr in der Lage seien, ihre Aufgabe als Weltpolizist allein wahrzunehmen. „In Anbetracht des Aufkommens eines neuen dynamischen, zugleich international komplexen und politisch erwachten Asiens, besteht die neue Realität darin, dass keine Macht länger versuchen kann – in Mackinder´s Worten – Eurasien zu ‚beherrschen‘ und so die Welt zu ‚kommandieren‘.  Amerikas Rolle, besonders nachdem zwanzig Jahre vergeudet worden sind, muss jetzt subtiler sein und die neuen Machtrealitäten Asiens mehr berücksichtigen. Herrschaft durch einen einzigen Staat, wie immer mächtig, ist nicht mehr möglich.“ Im Ergebnis sei es notwendig, einen „vitaleren und breiteren Westen zu bilden“, über die nächsten Dekaden allmählich, auf „auf transformierendem Wege“ durch „Einrichtungen wie die EU und die NATO sowohl Russland als auch die Türkei mit einem Westen zu verbinden, der bereits jetzt die EU und die Vereinigten Staaten umfasse.“[iv]

Man ist erstaunt. Vor dem Hintergrund niedergehender US-Hegemonie ist Brzezinksi bereit sogar Russland mit in ein Bündnis gegen die asiatische Herausforderung einzubeziehen, ebenso wie die Türkei – wenn nicht Wladimir Putin und die von ihm verfolgte Vision einer „Slawischen Union“ in Eurasien dem entgegenstünde. Ohne Putin – ja, mit Putin, nein. Und Brzezinski erklärt auch, wie das „Putin-Problem“ zu lösen sei:

„Eine systematisch aufgebaute engere Beziehung zwischen Russland und dem atlantischen Westen (ökonomisch mit der EU, in Sicherheitsfragen mit der NATO und den Vereinigten Staaten) könnte voran gebracht werden durch eine allmähliche russische Akzeptanz gegenüber einer wahrhaft unabhängigen Ukraine, die dringender als Russland nahe an Europa und tendenziell sogar ein Mitglied der Europäischen Union sein möchte. … Andererseits würde eine Ukraine, die vom Westen isoliert und zunehmend Russland untergeordnet wäre, Russlands unkluge Wahl zugunsten seiner imperialen Vergangenheit ermutigen.“[v]

Diese strategische Option wurde von US-Außenminister Kerry auf der Münchner Sicherheitskonferenz vom Februar 2014 unter der Forderung nach einer „Renaissance des atlantischen Bündnisses“ als neue politische Linie der USA vorgestellt und sollte mit der demonstrativen Unterstützung des „Regime Change“ in Kiew festgeklopft werden.  Der deutsche Bundespräsident Gauck und die zu der Zeit frisch eingeführte deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen, nahmen den Ball auf, indem sie auf der Konferenz und auch später öffentlich und programmatisch erklärten, Deutschland werde in Zukunft „mehr Verantwortung“ in globalen Sicherheitsfragen übernehmen.

Beim Blick auf diese Absichtserklärungen und das Ergebnis der Intervention stellt sich die Frage: Ist da nicht etwas danebengegangen? Was hat nicht so geklappt, wie die Strategen der USA und der Europäischen Union sich das gedacht hatten? Die Antwort ist relativ einfach und sehr klar: Russland, konkret sein Präsident Wladimir Putin hat nicht mitgespielt, genauer, er hat mit der Offerte an Janukowytsch, die Ukraine mit einer Unterstützung von 30 Milliarden vor dem Staatsbankrott zu bewahren, darüber hinaus mit dem Angebot an die Ukraine der Eurasischen Zollunion und tendenziell der Eurasischen Union beizutreten die seit 1991 gültige Spielregel: defensives Russland reagiert auf Offensives Vorgehen der EU/NATO/USA definitiv durchbrochen, hat die Spielregeln von sich aus bestimmt.

Mit der Übernahme der Krim in die russische Föderation setzte Russland jedem weiteren Vordringen der NATO in den russischen Einflussbereich ein unmissverständliches NO GO entgegen. Statt dass der ukrainische Regime-Change einen vergleichbaren russischen nach sich gezogen hätte, der auch Russland „allmählich“ in einen willfährigen Partner des erneuerten westlichen Bündnisses gezogen hätte, hat die unübersehbare Aggressivität der westlichen, speziell auch der US-amerikanischen Intervention in der Ukraine Putins Position gestärkt – und dies nicht nur in der russischen Bevölkerung, sondern weltweit. Statt Russland als Bündnispartner gegen die „asiatische Gefahr“ zu gewinnen hat man es mit der Intervention in der Ukraine den Chinesen und den BRIC-Staaten in die Arme getrieben.

Kein Wunder, dass Russland sich in der Propaganda des atlantischen Bündnisses unter diesen Umständen im Handumdrehen von einem erwünschten Juniorpartner in eine aus allen verfügbaren medialen Rohren beschossene eurasische „Bedrohung für die Zivilisation“[vi] entwickelt hat, dass man mit allen Mitteln versucht, Russland zu provozieren seinerseits in das ukrainische Kampffeld zu intervenieren, um Moskau gegenüber politisch wieder in die Offensive zu kommen. Russland ist auf die diese Provokationen nicht eingegangen, bisher jedenfalls nicht. – Dieses Mal nicht! könnte man Brzezinski zurufen, der sich ja rühmt, Russland schon einmal, vor dreißig Jahren, in die „Afghanistanfalle“ gezogen zu haben, was zum Ausbluten der Sowjetunion geführt habe.

Es scheint, als habe Russland diese Lektion gelernt. Es hält sich jedenfalls, abgesehen von der unblutigen Übernahme der Krim in den Bestand der russischen Föderation fern von jeder offenen Intervention, nicht zuletzt auch deswegen, weil es sich die Funken des ukrainischen Aufstandes nicht ins eigene Land ziehen möchte. Dafür riskiert Putin sogar den Vorwurf des Verrats von Seiten der Donezker, Lugansker und anderer Rebellen, die Russland vergeblich um direkte Hilfe gebeten haben. Wohin die Entwicklung weiter führt, ist offen. Sicher ist nur eines. Auch wenn es Poroschenko gelingen sollte, die Aufständischen niederzuschlagen, ist die Ukrainische Krise nicht beendet. Die Geister, die man rief, und auch jene, die man nicht rief, sind mit Waffengewalt nicht zu bändigen. Der Knoten aus den drei vorne genannten Strängen der globalen Transformation – nachsowjetische Suche, nachholende Nationenbildung und Übergang in eine multipolare Welt – ist mit gewaltsamen Interventionsstrategien nach Art des letzten Jahrhunderts nicht zu lösen. Was die Welt braucht, und wofür die Krise der Ukraine als Signal steht, ist die vernetzte, föderal organisierte Kooperation selbstbestimmter Regionen, die den Weg in die Wiedergeburt des Sozialen im gleichberechtigten Dialog miteinander suchen.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

[i] Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, Fischer tb 14358, Frankfurt 1999, engl. „The grand chessboard“, 1997

[ii] Ebenda, S, 74

[iii] Zbigniew Brzezinski, th second chance, Basic Books, New York, 2006, S. 119

[iv] Zbigniew Brzezinski, Strategic Vision , Basic Books, New York, 2013, S. 131 ff

[v] Ebenda, S. 150 ff

[vi] Timothy Snyder in FAZ, 17.05.2014;




„Wiederaufstieg des Westens?“ – ein Erschrecken mit welchem Ende?

[von Kai Ehlers] Erschreckend, was sich zurzeit in der Ukraine ereignet. Erschreckend auch, dass der Mann, Wladimir Putin, der, seit er als Präsident Russlands angetreten ist, die Einhaltung der Völkerordnung durch die USA anmahnte, diese Ordnung mit dem ….. in die Ukraine jetzt selbst krass in Frage stellt. Das hat alle Freunde Russlands, den Autor dieses Textes eingeschlossen, hart überrascht, die noch Verhandlungsspielraum im Konflikt um die Ukraine gesehen hatten.

Nicht minder erschreckend ist, wie unverhältnismäßig und verlogen der Westen auf diese Wendung der Ereignisse reagiert: Mit einer ideologischen Mobilisierung und Aufrüstung gegen Russland, die die eigene Verantwortung für die Entstehung dieser Situation vollkommen leugnet, und hart an die Grenzen einer internationalen Ausweitung des lokalen Krieges führt. So etwas hat man bei Grenzübertretungen seitens anderer Mächte in der jüngeren Vergangenheit, etwa der NATO in Jugoslawien, der USA im Irak, nicht erlebt.

Und dennoch: Mit Mitleid für die ukrainische Bevölkerung, die diesen Krieg zu ertragen hat, mit Empörung über den Bruch des Völkerrechtes durch Putin, der jetzt sein „wahres Gesicht“ zeige, auch mit bigotter Genugtuung, dass der Westen nun einen „Wiederaufstieg“ erlebe, ist es nicht getan. Die Frage stellt sich über die Lagerbildung hinaus: Wem nützt dieser ganze Vorgang?

Die Antwort scheint klar. Er nützt keiner der unmittelbar in die Kämpfe verwickelten Parteien. Nicht der Ukraine, versteht sich, die noch tiefer ins Chaos ihres Bürgerkrieges gedrückt wird als schon in den Jahren zuvor, die sogar geteilt aus den jetzigen Kämpfen hervorgehen könnte. Nicht Russland, das der internationalen Ächtung verfällt und in seiner wirtschaftlichen und politischen Stabilität schweren Schaden nehmen wird.  Aber auch nicht den Europäern, die sich auf Gedeih und Verderb von Russland wirtschaftlich und kulturell trennen und den Amerikanern ausliefern. Das Stichwort „Nordstream 2“ kann hier für das Ganze stehen.

Als lachende Dritte erscheinen allein die USA, weit entfernt vom aktuellen …..sgeschehen. Für sie werden durch die Entzweiung von Europäischer Union und Russland, die sich gegenseitig schwächen, statt miteinander zu kooperieren und gemeinsam an der Friedens- und Sicherheitsordnung zu bauen, wie Russland es seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion immer wieder anbot, gleich zwei Gegner aus dem Spiel genommen und der Weg für die Konfrontation mit China freigemacht. Mehr noch, die Europäische Union, besonders Deutschland als deren Mitte, wird erneut und für eine längere Dauer zum Erfüllungsgehilfen der Politik der USA.

So weit, so absehbar, könnte man denken – und je länger und je blutiger der ….. auf ukrainischem Boden andauern wird, desto ‚nachhaltiger‘ werden Europa und Russland in dieser Weise blockiert und US-Zielen dienstbar. Das können Atlantiker vor dem Hintergrund der unübersehbaren Krise der USA und ihrer „follower“ in der Tat als „Wideraufstieg des Westens“ verstehen.

Möglich sind allerdings auch andere Folgen dieses lokalen ….., wenn sich die Staaten, die schon im weiten Vorfeld der jetzigen Zuspitzungen auf Gegenkurs zu dem von den USA dominierten Westen waren, also die Staaten des BRICS-, sowie des Shanghai-Bündnisses, unter ihnen insbesondere China, Indien, Brasilien Südafrika, unter dem Druck des gegen Russland erklärten Sanktions…..es jetzt enger zusammenschließen. Das gilt insbesondere, wenn der Ausschluss Russlands aus dem Dollar-basierten SWIFT-Zahlungssystem die Dominanz dieses Systems teilweise durchlöchert oder bei einem gänzlichen Ausschluß Russlands von dem westlichen System sogar ganz beendet, weil diese Staaten sich dann um die Asiatische Entwicklungsbank zu einem eigenen Finanzzusammenhang zusammenschließen, der schon lange herangewachsen ist. Das könnte eine neue Finanzkraft entstehen lassen, die die Dollar Dominanz zu brechen imstande sein könnte. Damit hätte der lokale Konflikt globale Dimensionen erreicht.

Da diese Variante allen Beteiligten klar ist, dürften viele von den Maßnahmen, die von westlicher Seite jetzt mit lautem Getöse angekündigt werden, letztlich auf ein sehr viel kleineres Maß heruntergeschraubt werden, um den globalen Konflikt in Grenzen zu halten. Was dabei aus der Ukraine wird, eine Übernahme durch Russland, ein Beitritt zur EU oder die Fortdauer als ein weiterer „eingefrorener Konflikt“, der sich in die anderen „eingefrorenen Konflikte“ einreiht, die schon als Minen des Jahrhunderts bereitliegen, ist zurzeit eine offene Frage, die nicht in der Ukraine entschieden wird. Um das Wohl, die Gesundheit und das Leben der zivilen Bevölkerung wird es dabei am wenigsten gehen, in der Ukraine ebenso wenig wie in Russland oder Europa.

Kai Ehlers

www.kai-ehlers.de